Bauarbeiter wollen leistungsbasierten Lohn

Bauarbeiter wünschen sich Chancengleichheit, unabhängig von Herkunft und Alter. Sie streben nach individueller Anerkennung für ihre harte Arbeit. Gleichmacherei ist dabei kontraproduktiv. Stattdessen wünschen sie sich, dass Lohnsteigerungen auf der eigenen Leistung basieren sollen.

Die Gewerkschaften drängen auf hohe Mindestlöhne. Aber je höher der Mindestlohn eines Arbeiters, desto weniger sicher ist der eigene Job. Insbesondere die weniger produktiven Arbeitskräfte werden dadurch zu teuer und laufen Gefahr, entlassen zu werden. Ausserdem sorgen hohe Mindestlöhne da-für, dass die tatsächlich ausbezahlten Effektivlöhne weniger stark wachsen. Galt früher, dass sich ein Arbeiter mit einer guten Leistung einen hohen Lohn erarbeiten konnte, hängt ein solcher heutzutage zu einem hohen Grad von den Gewerkschaften ab. Wegen den Gewerkschaften verdienen heute viele Bauarbeiter kaum mehr als den Mindestlohn.

Der Lohn steht für die Beschäftigten auf dem Bau längst nicht allein im Mittelpunkt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Entwicklungsmöglichkeiten und Anerkennung am Arbeitsplatz sind für viele Erwerbstätigen mindestens so entscheidend. Seit 20 Jahren untersucht der European Social Survey solche Fragen. Diese Studie befragt die Menschen nach ihren Werten, Erfahrungen und Erwartungen. Die Umfrage wird in 30 Ländern durchgeführt und wartet mit spannenden Ergebnissen zu den Wünschen der Bauarbeiter in der Schweiz auf.

Der wichtigste Wert: Loyalität

Loyalität steht an oberster Stelle, und zwar unabhängig von Nationalität und Alter. Bauarbeiter sind Teamplayer, für die das Verhältnis zur Familie, zu Freunden, Mitarbeitern, Vorgesetzen und zur Firma am wichtigsten ist.

An zweiter Stelle folgt für Schweizer Bauarbeiter, dass sie eigene Entscheidungen treffen können. Bei ausländischen Bauarbeitern hingegen ist am zweitwichtigsten, dass alle gleichermassen fair behandelt werden und gleiche Aufstiegschancen haben. Für sie ist ebenfalls wichtig, dass sie erfolgreich sind und sich die Anerkennung ihrer Mitmenschen verdienen. Gerade Letzteres ist ihnen wichtiger als ihren Schweizer Berufskollegen oder Erwerbstätigen in anderen Branchen.

Gleich lange Spiesse mit individuellem Potenzial gewünscht

Die Ergebnisse legen nahe, dass das Gesetz und die Gesamtarbeitsverträge ein Minimum an allgemeingültigen Standards setzen sollen, welche die Gleichbehandlung für alle Beschäftigten sicherstellen. Darüber hinaus möchten die meisten Bauarbeiter jedoch viel individuellen Freiraum haben, einerseits um sich mit ihrer eigenen Leistung zu beweisen und um selbstständig Entscheidungen zu treffen.

Diesen Wünschen widersprechen sowohl die detaillierten Regeln im Landesmantelvertrag, hohe Mindestlöhne wie auch generelle Lohnerhöhungen bei Lohnverhandlungen der Sozialpartner. Stattdessen sind individuelle Entwicklungsmöglichkeiten gefragt.

Wie gut vertreten Gewerkschaften die Interessen ihrer Mitglieder?

Längst nicht alle Arbeitnehmer sind Mitglied einer Gewerkschaft. 2008 waren noch 22% aller Arbeit-nehmenden in der Schweiz gewerkschaftlich organisiert. Seitdem hält der Negativtrend ungebrochen an, heutzutage beträgt der Organisationsgrad bloss noch 17%. Gewerkschaften vertreten also lediglich noch jeden sechsten Arbeiter. Bei Gewerkschaften sind insbesondere ausländische sowie ältere Arbeitnehmer übervertreten.

Es scheint, dass die organisierten Bauarbeiter «den Fünfer und das Weggli» wollen. Sie haben beim European Social Survey die höchsten Ansprüche unter allen Gruppen angemeldet. Sie möchten nicht nur einen sicheren Job und ein hohes Einkommen, sondern auch eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zugleich selber die Initiative im Job ergreifen können. Zu jedem dieser vier Aspekte haben sie die höchsten Erwartungen, höher als die nichtorganisierten Bauarbeiter, höher auch als alle organisierten und nicht-organisierten Erwerbstätigen anderer Branchen in der Schweiz. Daraus folgt, dass die Arbeitnehmer, die sich Gewerkschaften angeschlossen haben, nicht repräsentativ für die Beschäftigten der Baubranche sind.

Man kann noch einen Schritt weiter gehen und feststellen, dass die Gewerkschaften nicht unbedingt die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Jobsicherheit und hohes Einkommen sind für die organisierten Bauarbeiter sehr wichtig, aber die Gewerkschaften beschädigen mit ihrem Verhalten genau diese Interessen.

Über den Autor

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Martin Maniera

Ökonom & wissenschaftlicher Mitarbeiter Politik

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