Bauausgaben sinken bei einem allfälligen Zinsanstieg moderat und graduell über die Zeit

Derzeit liegen die Schweizer Zinsen bei -0.75%. Während sie 2022 auf diesem Niveau verharren dürften, könnten sie 2023 auf bis zu -0.25 % steigen. Der Schweizerische Baumeisterverband erwartet, dass dadurch die Bauausgaben nur moderat und über die Zeit graduell beeinträchtigt würden. In den ersten beiden Jahren könnten die Bauausgaben um 0.9% sinken, mittelfristig aufsummiert um 1.6%. Nach sechs Jahren wären hingegen keine negativen Effekte mehr auszumachen. Die privaten Bauausgaben dürften etwas stärker, aber dafür kürzer als die öffentlichen beeinträchtigt werden. Andere Einflüsse wie etwa das Bevölkerungs- oder Wirtschaftswachstum vermögen den negativen Zinseffekt teilweise zu kompensieren.

Seit über sieben Jahren kennt die Schweiz Nega­tiv­zin­sen. Dies hat dazu beigetra­gen, dass Immo­bi­lien als Anla­ge­klasse für Inves­to­ren deut­lich an Attrak­ti­vi­tät gewon­nen haben. Die Bauaus­ga­ben und der Umsatz im Bauhaupt­ge­werbe sind infol­ge­des­sen gestie­gen. Mit 1.6% liegt die Infla­tion in der Schweiz derzeit aber höher als von Exper­ten zuvor erwar­tet. Im Ausland ist die Teue­rung sogar noch deut­li­cher stärker (Euro­zone 5%, USA 7-8%). Um die Infla­tion zu bremsen, dürften die Noten­ban­ken die Zinsen anheben.

1%-Zinsanstieg lässt Bauaus­ga­ben total um 1.6% sinken

Der SBV erwar­tet, dass die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank die Leit­zin­sen noch nicht 2022, aber 2023 anheben könnte. Von jetzt -0.75% könnte der Leit­zins im Jahr 2023 auf -0.50% oder -0.25% steigen. Wie wäre die Baubran­che betrof­fen? Gemäss einer neuen Schät­zung des SBV sinken die Bauaus­ga­ben bei einem Anstieg des Leit­zin­ses moderat und mit zeit­li­cher Verzö­ge­rung. Die Bauaus­ga­ben umfas­sen neben dem Umsatz im Bauhaupt­ge­werbe auch die Ausga­ben für vor- und nach­ge­la­gerte Bran­chen, etwa die Planung und das Ausbau­ge­werbe.

Im ersten Jahr nach einer 1%-Zinserhöhung sinken die Bauaus­ga­ben um 0.4%, im zweiten Jahr um weitere 0.5%. Danach wird die Schock­wir­kung schwä­cher, ab dem siebten Jahr ist sie vernach­läs­sig­bar. Kumu­liert über die Zeit sinken die Bauaus­ga­ben gesamt­haft um 1.6%. 2023 könnte eine Erhö­hung des Leit­zin­ses um 0.5% bevor­ste­hen. Dadurch wäre der «Schock» nur halb so gross wie in der Grafik darge­stellt, d. h. dass die Bauaus­ga­ben lang­fris­tig kumu­liert nicht um 1.6%, sondern nur um 0.8% sinken würden.

Private Bauaus­ga­ben stärker, aber kürzer beein­träch­tigt als öffent­li­che

Die Grafik zeigt gewisse Unter­schiede zwischen den priva­ten und den öffent­li­chen Bauaus­ga­ben. Die priva­ten Bauaus­ga­ben reagie­ren zunächst stärker auf eine Zins­er­hö­hung um 1% – im zweiten Jahr sinken sie um 0.65% statt 0.5% – aber die nega­ti­ven Auswir­kun­gen klingen rascher ab, also bereits nach dem vierten Jahr. Die öffent­li­chen Bauaus­ga­ben reagie­ren weniger heftig, aber dafür etwas länger. Die Unter­schiede zwischen priva­ten und öffent­li­chen Bauaus­ga­ben dürften sich durch die unter­schied­li­chen Kanäle, über welche die Zinsen ein Baupro­jekt beein­flus­sen, erklä­ren lassen. Mit stei­gen­den Zinsen…

  • werden andere Anla­ge­klas­sen wie beispiels­weise Staats­an­lei­hen attrak­ti­ver. Immo­bi­lien werden für insti­tu­tio­nelle Privat­an­le­ger weniger inter­es­sant, weshalb die priva­ten Bauaus­ga­ben sinken.
  • werden Hypo­the­ken für private Bauher­ren uner­schwing­li­cher, weshalb die Bautä­tig­keit von priva­ten Einfa­mi­li­en­häu­sern und Eigen­tums­woh­nun­gen abnimmt.
  • verteu­ert sich für öffent­li­che Bauher­ren die Finan­zie­rung über Banken und Finanz­märkte, weshalb sie die öffent­li­chen Bauaus­ga­ben redu­zie­ren.

Korrekte Einord­nung der Analyse

Eine Zins­er­hö­hung entfal­tet ihre nega­tive Wirkung nicht unmit­tel­bar, sondern gradu­ell über grob fünf Jahre. Die voraus­sicht­li­che Zins­er­hö­hung bedeu­tet nicht zwangs­weise, dass die Bauaus­ga­ben oder der Umsatz im Bauhaupt­ge­werbe schrump­fen. Sie könnten aufgrund anderer Einflüsse durch­aus noch posi­tive Wachs­tums­ra­ten aufwei­sen. Das Wachs­tum der Bevöl­ke­rung und der Wirt­schaft stimu­lie­ren die Bautä­tig­keit nach­hal­ti­ger. Aber das Umsatz­wachs­tum wäre sicher­lich grösser, wenn die Zinsen nicht steigen würden. Beispiels­weise sind die Bauaus­ga­ben in der letzten Dekade zwischen 2010 und 2019 um 2% pro Jahr gewach­sen. In diesem Jahr­zehnt hätte eine Zins­er­hö­hung das Wachs­tum der Bauaus­ga­ben um ein Viertel gedros­selt. Sie wären statt der durch­schnitt­li­chen 2.0% bloss um 1.5% gewach­sen. Über das ganze Jahr­zehnt wären die Bauaus­ga­ben nicht um 20%, sondern um 18.4% gestie­gen, wenn die Zinsen zu Beginn der Dekade erhöht worden wären.

Tech­ni­sche Erklä­run­gen zur Grafik

Der SBV hat ein ökono­me­tri­sches Modell entwi­ckelt, um die Auswir­kun­gen einer Erhö­hung der Leit­zin­sen in der Schweiz auf die Bauaus­ga­ben zu schät­zen. Die Bauaus­ga­ben beschrei­ben sämt­li­che Ausga­ben, die bei der Reali­sie­rung eines Bauwerks anfal­len, also von der Planung über das Bauhaupt­ge­werbe bis hin zur Ausbau­bran­che. Für die Berech­nun­gen werden das Wachs­tum der Bevöl­ke­rung, des BIP, der Geld­menge M1 und der Konsu­men­ten­preise berück­sich­tigt. Eben­falls flies­sen die Akti­en­ren­dite sowie der Zins auf lang­fris­tige Schwei­zer Staats­an­lei­hen mit ein. Alle Daten sind preis­be­rei­nigt und als Wachs­tums­rate zum Vorjahr in Prozent berech­net. Es wurden jähr­li­che Daten von 1950 bis 2020 für das Modell verwen­det.

Über den Autor

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Martin Maniera

Ökonom & wissenschaftlicher Mitarbeiter Politik

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