Bauen aus Abfällen

Werden für ein neues Gebäude gebrauchte Bauteile wiederverwendet, könnte in grösserem Stil CO2 eingespart werden. Das ZHAW Institut Konstruktives Entwerfen forscht im Rahmen des Projekts «Zirkulär bauen» zu diesem Thema.

Werden für ein neues Gebäude gebrauchte Bauteile wiederverwendet, könnte in grösserem Stil CO2 eingespart werden. Das ZHAW Institut Konstruktives Entwerfen forscht im Rahmen des Projekts «Zirkulär bauen» zu diesem Thema.

Für 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen sind Gebäude verantwortlich – ein grosser Teil dieser Emissionen entstehen bei ihrem Bau. Anders verhält es sich, wenn bei der Erstellung wiederverwendbare Bauteile eingesetzt werden. Dann fallen energieintensive Phasen weg und dadurch kann eine Menge Treibhausgasemissionen eingespart werden. Jemand, der sich intensiv mit sogenannt kreislaufgerechtem Bauen beschäftigt, ist Eva Stricker. Sie ist Mitarbeiterin am Institut Konstruktives Entwerfen des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Stricker war Leiterin des Forschungsprojekts «Zirkulär bauen», in dessen Zentrum die Wiederverwendung von Bauteilen in kultureller, architektonischer-konstruktiver, energetischer und ökonomischer Hinsicht stand.

Als Fallstudie diente der Kopfbau der Halle 118 auf dem Lagerplatz in Winterthur. Dieser wurde von Baubüro in situ um drei Geschosse aufgestockt – wenn immer möglich aus wiederverwendetem Baumaterial. So war das Stahlskelett, welches die Stockwerke trägt, einst in einer Coop-Verteilzentrale eingesetzt worden und die 30 Jahre alte Aussentreppe aus Stahl gehörte einst einem abgebrochenen Bürogebäude in Zürich. Von diesem stammen auch 44 Fenster sowie Fassadenplatten aus Granit, die für die Balkonböden wiederverwendet wurden. Stricker: «Bei den wiederverwendeten Bauteilen, die für unsere Fallstudie K.118 untersucht wurden, bewegen sich die Einsparungen von Treibhausgasemissionen in der Erstellungsphase gegenüber neuen Bauteilen zwischen 85 und 99 Prozent.»

Sie zieht ein positives Fazit bezüglich K.118: Die Wiederverwendung von Bauteilen sei nicht nur architektonisch und kulturell interessant, sondern damit stehe auch ein Instrument zur Verfügung, um die Treibhausgasemissionen in der Erstellungsphase von Bauteilen drastisch zu reduzieren. «Um zu untersuchen, wie diese Bauweise in den Rahmenbedingungen des heutigen Bauwesens umgesetzt werden kann und an welche Grenzen sie stösst, war K.118 Gold wert. Wir brauchen mehr solcher realer Fallbeispiele, um das Thema und seine Implikationen für die Baupraxis noch genauer zu studieren und rasch voranzubringen», sagt Stricker.

Mehr Recycling geht nicht: Der Kopfbau dieses Gebäudes in Winterthur wurde ausschliesslich aus wiederverwendeten Baumaterialen errichtet. (Bild: Baubüro in situ ag, Martin Zeller)

 

Fehlender ökonomischer Anreiz

Obwohl in der Wiederverwendung von Bauteilen viel Potenzial liegt, ist sie im heutigen Bauwesen meistens nicht vorgesehen. Weshalb? Eva Stricker: «Dies hat viel mit der Terminplanung zu tun, die bei Rückbauten in der Regel keine Zeit lässt für zerstörungsfreie Demontagen genauso wie mit dem Recht- und Normenwesen, die zwar teilweise Ausnahmen für ortsfesten Bestand definieren, nicht aber für die Wiederverwendung von Elementen an einem anderen Ort.» Dazu kommt, dass sich nicht jede Bausubstanz zur Wiederverwendung eignet.

In den 1960er- bis 80erJahren, führt Stricker aus, seien oft schadstoffhaltige Materialien verbaut worden, deren Wiederverwendung sich schon wegen des Gesundheitsschutzes verbiete. «Andererseits können die noch vor kurzem so beliebten verdeckten Klebeverbindungen oft nicht beschädigungsfrei gelöst werden, komplex geschichtete Verbundwerkstoffe sind bei Beschädigungen dagegen kaum reparierbar, geschweige denn sortenrein trennbar für die Verwertung.»

Warum ist zirkuläres Bauen in der Schweiz noch nicht gross verbreitet? Stricker erklärt sich dies damit, dass oft professionelle Strukturen für die Erfassung und Dokumentation vorhandener Bausubstanz fehlen, um diese als Ressource sichtbar zu machen. «Andererseits fehlt der ökonomische Anreiz, um Unternehmen dazu zu motivieren, zum Beispiel neben Neuware auch gebrauchte Elemente ins Programm zu nehmen.» Hier könnte eine realistischere Bepreisung von Treibhausgasemissionen helfen, bereits vorhandener Bausubstanz mehr Wert zu verschaffen, der Erhalt und Wiederverwendung nicht nur kulturell und ökologisch, sondern auch ökonomisch attraktiv macht.

Natürliche Ressourcen schwinden

Nicht zu unterschätzen ist auch die Finanzierung wiederverwendbarer Bauteile. Stricker: «Angesichts der im Vergleich zum Materialpreis hohen Lohnkosten werden wiederverwendete Bauteile in der Schweiz schnell gleich teuer oder sogar teurer als Neuware, wenn man alle für die Wiederverwendung notwendigen Leistungen – von der Suche über Rückbau, Lagerung, Transport und Aufbereitung bis zum Wiedereinbau – berücksichtigt.» Hinzu kommt, dass diese Kosten teilweise schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Projektverlauf anfallen. «Insbesondere, wenn strukturelle Bauteile wie Teile der Tragstruktur, der Erschliessung oder der Fassaden wiederverwendet werden sollen, müssen diese Bauteile heute in der Regel angekauft werden, bevor überhaupt aussagekräftige Baueingabepläne gezeichnet werden können.»

Im Fall des Projekts K.118 wurden vor dem Baustart zum Beispiel rund elf Prozent der Erstellungskosten für gebrauchte Bauteile ausgegeben, während im konventionellen Bauprozess bis zu diesem Zeitpunkt nur die Planungs- und Nebenkosten anfallen. «Diese Bauteile zu finanzieren, bevor der Bau überhaupt bewilligt ist, birgt ein gewisses Risiko» sagt Stricker. Dieses würde sich jedoch entschärfen, sobald sich ein Bauteilmarkt entwickelt, der es ermöglicht, regelmässig anfallende Bauteile «just-in-time» zu bestellen.

Zirkuläres Bauen wird die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen, denn die natürlichen Ressourcen schwinden. «Für die Reaktion auf den Klimawandel sind die nächsten Jahre und Jahrzehnte von grosser Bedeutung. Vor allem die Wiederverwendung von Bauteilen könnte in dieser Zeit sozusagen als Brückentechnologie dienen, bis Schlüsselindustrien des Bauwesens in der Lage sein werden, Bauabfälle in klimaschonenden Prozessen zu neuen Baustoffen zu verwerten», so Stricker. Schliesslich stehen hochwertige, gebrauchte Bauteile in der Schweiz derzeit im Überfluss zur Verfügung.

 

Autor: Werner Schüepp

Weitere Informationen

ZHAW Institut Konstruktives Entwerfen, Eva Stricker, Guido Brandi, Andres Sonderegger, Baubüro in situ, Zirkular, Marc Angst, Barbara Buser, Michel Massmünster. Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen. 408 Seiten. Verlag Park Books.

 

 

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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