Bereit sein, alte Muster zu verlassen

Allein ein Bauwerk zu bauen, funktioniert in der Regel nicht. Damit es klappt, braucht es unter anderem eine Vielzahl an Experten. Bauingenieurin Carola Maffini ist spezialisiert auf Projektabwicklungen und sagt, weshalb ein Umdenken angezeigt ist.

Allein ein Bauwerk zu bauen, funktioniert in der Regel nicht. Damit es klappt, braucht es unter anderem eine Vielzahl an Experten. Bauingenieurin Carola Maffini ist spezialisiert auf Projektabwicklungen und sagt, weshalb ein Umdenken angezeigt ist.

Für die Abwicklung eines Bauprojekts ist eine Vielzahl von Beteiligten nötig. Stichwort «Kollaborative Projektabwicklung» im Bauwesen: Was verstehen Sie darunter?

Ein Bauwerk kann nicht einer allein bauen. Es braucht eine Vielzahl von Experten, damit am Ende ein funktionierender Bau entsteht. Dabei stehen die Beiträge/Arbeiten der Einzelnen nicht wie Inseln im Raum, sondern bauen aufeinander auf und/oder greifen ineinander. Wenn dabei jeder nur nach sich und seinem Teilbereich schaut und sich bloss eigene Ziele setzt, wann für ihn das Projekt erfolgreich läuft, geht das in vielen Fällen nicht gut für das Gesamte aus.

Was ist das Ziel einer solchen kollaborativen Projektabwicklung?

Ein kollaborative Projektabwicklung möchte die «Verinselung» auflösen und alle Beteiligten dazu bringen, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Dabei sollen die negativen Auswirkungen von «Inseldenken», wie Mängel, Mehrkosten ohne Mehrwert (zum Beispiel durch Mitwirkungspflichtverletzungen, Planverzögerungen und so weiter), unkonstruktive und teure Streitigkeiten sowie eine durch Vorwürfe und gegenseitige Beschuldigungen vergiftete Arbeitsatmosphäre verhindert werden.

Wie kann eine solche «vergiftete» Arbeitsatmosphäre am besten verhindert werden?

Eine Abwicklungsform, die momentan in aller Munde ist, ist IPA. Ein IPA-Modell lässt sich durch acht Punkte definieren (siehe Box). Ein IPA-Projekt eignet sich allerdings nicht für jede Projektabwicklung. Doch lohnt auch schon ein Blick in die Ansätze, um für kleinere und traditionelle Abwicklungsformen, wie zum Beispiel für Einzelvergaben Anregungen bezüglich Verbesserungen zu finden.

Wenn jeder nur nach sich und seinem Teilbereich schaut und sich bloss eigene Ziele setzt, geht das in vielen Fällen nicht gut für das Gesamte aus.

Carola Maffini
Geschäftsführerin profacto.ch

Was raten Sie einer Baufirma, damit eine kollaborative Projektabwicklung erfolgreich wird?

Auf alle Fälle ist es kein Kulturbestandteil mehr, Fehler oder Wissensgefälle des anderen zu suchen, um dann für sich daraus einen Vorteil zu generieren. Nicht nur in den Baufirmen, sondern bei allen Projektbeteiligten, dem Bauherrn eingeschlossen, muss die Bereitschaft vorhanden sein, alte Muster zu verlassen, Wissen zu teilen, Mitzudenken, besonders auch für die anderen Beteiligten. Für den Zeitraum der Projektabwicklung ist der einzelne Mitarbeiter nicht mehr Teil der Firma XY, sondern Bestandteil des Projektteams und verfolgt die gemeinsam festgelegten Interessen. Das könnte für den ein oder anderen eine grosse Herausforderung darstellen.

Wird diese Art von Projektabwicklung in der Praxis häufig angewendet?

IPA-Projekte in Reinform sind noch selten. In vielen Projekten wird diese Kultur schon gelebt, sogar ganz ohne ein Projektabwicklungsmodell im Rücken, was durch vertragliche und organisatorische Rahmenbedingungen eine kollaborative Haltung fördert oder sogar bewusst einfordert. Schon die Norm SIA 118 enthält kollaborative Elemente, vielleicht ist das durch die Umschreibung als Anzeige- und Informationspflichten und den etwas nüchternen Ton nicht für alle ersichtlich. Schade, wenn eine Abmahnung als Kampfansage und nicht als Dienstleistung verstanden wird.

IPA-Modell

Eine Abwicklungsform, die momentan aktuell ist, heisst IPA oder IPD (Integrierte Projektabwicklung oder Integrated Project Delivery). Ein solches IPA-Modell lässt sich durch die folgenden acht Punkte definieren:

  • Durch die Etablierung eines Mehrparteiensystems
  • Durch die frühzeitige Einbindung der Schlüsselbeteiligten mittels Kompetenzwettbewerb
  • Durch ein gemeinsames Risikomanagement
  • Durch gemeinsame Entscheidungen
  • Durch ein Anreizsystem im Rahmen eines Vergütungsmodells
  • Durch den Einsatz kollaborativer Arbeitsmethoden (transparenter Daten- und Informationsaustausch, prozessbasierte Koordination der Beteiligten)
  • Durch eine lösungsorientierte Konfliktbearbeitung
  • Durch eine kooperative Haltung aller Beteiligten (gemeinsame Werte, kontinuierliches Lernen und positiver Umgang mit Fehlern)

Zur Person

Carola Maffini ist Geschäftsführerin der profacto.ch einem Ingenieurbüro für Baubetrieb. Frau Maffini ist hauptsächlich in der Unterstützung und Schulung von Bau- und Geschäftsführern und als Schnittstelle zwischen Unternehmungen und Rechtsanwälten tätig. Nach ihrem Studium des Bauingenieurwesens an der TU Darmstadt hat sie eine Dissertation zum Thema «Konfliktbehandlung in Bauprojektorganisationen» angefertigt.

Kollaboration am Bau - Gemeinsam erfolgreich

Am 24. November findet im Campus Sursee die Schweizer Bautagung 2022 statt. Unter den Referierenden tritt auch Carola Maffini, profacto.ch, auf. Anmeldeschluss ist der 14. November. Hier finden Sie mehr Informationen zur Veranstaltung.

Über den Autor

pic

Schweizerischer Baumeisterverband

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