Brienz rutscht vom Berg – kann ein Bauprojekt die Natur bändigen?

Das Bündner Bergdorf Brienz ist schon immer in Bewegung. In 2017 hat sich die Rutschgeschwindigkeit aber dramatisch erhöht und gefährdet das Überleben. Ein bautechnisches Meisterwerk kann seine Zukunft sichern. Die erste Bauetappe macht Hoffnung.

 

Brienz in der Gemeinde Albula ist auf Erdrutschgebiet gebaut. «Seit Generationen sind die Bewohner an das Rumpeln des Berges gewöhnt, doch in 2017 verschärfte sich die Situation bedrohlich», so Gemeindepräsident Daniel Albertin. Zwei bis zwölf Meter bewegt sich der Berg aktuell pro Jahr und das Dorf anstatt wie bis anhin rund 8 Zentimeter jährlich jetzt bis zu 1,5 Meter Richtung Tal. Das Amt für Wald und Naturgefahren schlug Alarm. Denn nicht nur die Zukunft der Brienzer Einwohner ist in Gefahr. Mehrere Quadratkilometer sind betroffen und damit auch die Grundinfrastruktur der Region wie Kantonsstrassen, Trassen der Rhätischen Bahn, Strom- und Glasfaserleitungen. Im September 2021 startete das Rettungsprojekt «Brienzer Rutsch» mit der ersten Baumassnahme. Projektleiter auf Unternehmerseite ist der dipl. Bauingenieur ETH/SIA Daniel Kohler. Mit seinem Team von der Frutiger AG und den Subunternehmen Mettler Prader AG und Stump-​BTE AG baute er in neun Monaten einen 635 Meter langen Sondierstollen von rund 17 qm Querschnittsfläche, der mit Überwachungs-​ und Drainagebohrungen ergänzt wurde. Dabei waren Bauführer, Polier, Tunnelbauer und Mechaniker involviert. Der Stollen soll eine Tiefenentwässerung möglich machen, damit der Rutsch verlangsamt oder ganz gestoppt wird. Daniel Kohler ist zuversichtlich, dass der Plan funktioniert: «In der Schweiz und im Ausland gibt es mehrere Rutschungen, die mit einem Drainagestollen angehalten werden konnten.» Die aktuelle Entwicklung bestätigt seine Einschätzung.

 

Schon erste Etappe ist vielversprechend

Noch während des Baus zeigte das Projekt Wirkung. Im Bereich des Stollens haben die Porenwasserdrücke abgenommen und die Rutschgeschwindigkeit hat sich verlangsamt. Daniel Albertin ist erleichtert. «Die Analyse stimmt optimistisch, dass sich die Natur mit dem Bauwerk bändigen lässt und damit die Grosshangrutschung und der Berg stabilisiert werden können.» Der Kanton unterstützt nun die Erweiterung des Sondierstollens zu einem zwei kilometerlangen Entwässerungsstollen mit zwei Armen, dessen Bau im Frühjahr 2024 beginnen soll.

 

Eine spannende Erfahrung

Für Daniel Kohler, der in seiner Funktion auch Projekte wie den Gotthardstrassentunnel oder Tunnelsanierungen in der ganzen Schweiz begleitet, ist die Arbeit in Brienz insbesondere wegen der Bedeutung für Zukunft der Einwohner und die Infrastruktur eine grosse Motivation sowie eine spannende Erfahrung. «Nach jedem Abschlag zeigte der Berg eine andere Faltung –  ein Hinweis darauf, dass er über die  Jahrtausende schon viel mitgemacht hat», erklärt der Projektleiter. Besonders interessant sei auch die Zusammenarbeit in dem ungewöhnlich grossen Projektteam. Zu den zahlreichen Beteiligten gehören unter anderem Gemeinde, Geologen, Planer und Tiefbauamt. Hinzu kommt in diesem Fall eine menschliche und emotionale Komponente, die mit Hoffnungen und Erwartungen an das Bauvorhaben allgegenwärtig ist. Nicht nur durch die Einladung aller am Bau beteiligten Mitarbeiter zu einem Jahresendessen durch die Gemeinde und ihrer Vertreter erfuhr man grosse Wertschätzung und Dankbarkeit. Daniel Kohler freut sich sehr über das Ergebnis der bisherigen Arbeiten. Er blickt positiv auf die Zukunft von Brienz und neuer Projekte, wie den Entwässerungsstollen Braunwald, den ebenfalls die Frutiger AG realisieren wird.

«Tunnelbau ist eine Leidenschaft und nur im Team zu bewältigen», so der 50-Jährige. Deshalb sei es wichtig, dass die ganze Baucrew diese Passion teilt. Jeder werde gebraucht, es sei auf allen Stufen ein Miteinander. «Bei jedem Projekt entsteht etwas Neues und ich lerne neue Regionen und Menschen kennen. Diese Kombination im Beruf ist spannend und erfüllend.»

 

Jacqueline Vinzelberg

 

 

 

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Schweizerischer Baumeisterverband

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