Der digitale Produktpass – Wie Daten den Bau revolutionieren

„Am Anfang dachte ich auch, das sei ein EU-Ding“, sagt Prof. Dr. Adrian Wildenauer und lehnt sich zurück. „Aber die Auswirkungen auf die Schweizer Bauwirtschaft sind enorm.“

Der digitale Produktpass – Wie Daten den Bau revolutionieren

Der Countdown läuft

„Am Anfang dachte ich auch, das sei ein EU-Ding“, sagt Prof. Dr. Adrian Wildenauer und lehnt sich zurück. „Aber die Auswirkungen auf die Schweizer Bauwirtschaft sind enorm.“

Was wie eine trockene EU-Richtlinie klingt, entpuppt sich als Gamechanger: Der digitale Produktpass wird schon ab 2027 für energieintensive Branchen Pflicht. Und wer in die EU liefert, muss liefern – im wahrsten Sinn des Wortes.

Die Schweizer Bauindustrie steht damit vor einer Zäsur. Es geht nicht nur um Bürokratie, sondern um Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und den Zugang zu Märkten. Oder, wie Adrian es formuliert:

„Wenn wir das nicht hinbekommen, haben wir einen grossen wirtschaftlichen Schaden und der wird weit grösser sein als 39 Prozent.“

 

Was der digitale Produktpass bedeutet

Ein Kühlschrank hat heute schon ein Datenblatt. Der digitale Produktpass (DPP) macht dasselbe – aber für jedes physische Produkt: Fenster, Zement, Holz, Schrauben. Alle relevanten Informationen werden digital gebündelt, abrufbar über einen QR-Code oder Link.

„Die EU verlangt, dass jedes Produkt in Zukunft seine Daten offenlegt – Herkunft, Zusammensetzung, Energieverbrauch, Recyclingfähigkeit“, erklärt Adrian. „Und das ist sinnvoll. Wer weiss, was verbaut ist, kann im Rückbau Ressourcen sparen.“

Er verweist auf tragische Beispiele wie den Grenfell Tower in London, wo brennbare Fassadenelemente eine Katastrophe auslösten. Niemand wusste genau, wo ähnliche Materialien noch verbaut waren. Der Aufwand, das nachträglich herauszufinden, sei „ein Dutzend Mal höher gewesen, als wenn man von Anfang an saubere Daten gehabt hätte.“

 

Die Schweiz im Zugzwang

Für Schweizer Hersteller ist die Lage klar: Ohne Produktpass kein Zugang zum EU-Markt. Fenster, Beton, Bewehrungen – all das gehört zu den Exportträgern der Branche. „Das ist kein Detailthema“, warnt Adrian. „Wenn unsere Produkte an der Grenze zurückgehalten werden, sind das 100 Prozent Schaden. Nicht verkauft ist nicht verkauft.“

Die Herausforderung: Datenqualität. Viele Firmen haben die nötigen Informationen längst, aber sie sind unstrukturiert, nicht greifbar, man findet sie nicht, jeder strukturiert sie ein bisschen anders. „Ich sehe schon, dass Hersteller zunehmend zu Datenhändlern werden“, sagt Adrian. „Aber nicht jede kleine Firma kann sich eine vollständige Datenhaltung leisten. Da braucht es politische Lösungen.“

Ein Flickenteppich ist nicht zielführend. Adrian fordert eine nationale Koordinationsstelle – ein Kompetenzzentrum, das Normen, Standards und Tools bündelt. „Wir müssen das helvetisieren“, sagt er. „Schnell, pragmatisch und gemeinsam.“

 

Daten als Wettbewerbsvorteil

Trotz aller Hürden sieht Adrian grosse Chancen. „Wenn Schweizer Produkte in den Datenbanken auftauchen, ist das ein Qualitätssiegel. Das verschafft uns Sichtbarkeit und Vertrauen.“

Wer früh handelt, kann sich Differenzierung sichern, etwa durch nachhaltige, rückbaubare Produkte. Denn der DPP zwingt zu Transparenz über den gesamten Lebenszyklus: von der Produktion über die Nutzung bis zum Rückbau.

„Das alte Prinzip ‚Make, Take, Waste‘ hat ausgedient“, sagt Adrian. „Wer Materialien wiederverwendet, spart Ressourcen und wird unabhängiger.“

Auch neue Berufsbilder entstehen: Daten- und Informationsmanager, Zertifizierer, Spezialisten für Material-Rückverfolgbarkeit. „Es gibt noch keine Ausbildung dafür“, erklärt Adrian. „Aber das wird sich ändern, wir sind bereits dran.“

 

Vom Datenchaos zur Chance

Wie sollen Unternehmen starten? Nicht in Panik verfallen. „Nicht als kopfloses Huhn herumrennen“, lacht Adrian. „Einfach anfangen: Welche Daten habe ich, welche fehlen? Das kann man in ein, zwei Tagen herausfinden.“

Ein strukturierter Abgleich genügt, um den Status zu kennen. „Das ist keine Rocket Science. Es ist gesunder Menschenverstand, genau wie beim Datenschutz damals.“

Künstliche Intelligenz kann später helfen, Daten zu strukturieren. Aber der erste Schritt bleibt menschlich: erfassen, prüfen, ordnen. „Shit in, Shit out“, sagt Adrian trocken. „Wer seine Daten nicht kennt, kann sie auch nicht automatisieren.“

 

Fazit: Mut zur Ordnung

Der digitale Produktpass ist kein Bürokratiemonster. Er ist ein Weckruf. Wer ihn als Chance versteht, gewinnt. „Ich würde das als Möglichkeit sehen, Ordnung in meine Daten zu bringen“, fasst Adrian zusammen. „Nicht als Bedrohung. Einfach pragmatisch rangehen, schauen, was schon da ist, und mit anderen zusammenspannen.“

 

 

 

Was jetzt zählt, ist Bewegung. Denn 2027 kommt näher, als es scheint – und die Zukunft gehört den Unternehmen, die heute beginnen, ihre Daten zu verstehen.

Dr. Adrian Wildenauer
Professor für digitales Bauen

Neugierig geworden? Dann hören Sie rein in die neuste Folge des BauTechTalk mit Dr. Adrian Wildenauer, dort erfahren Sie aus erster Hand, wie der digitale Produktpass die Bauwelt verändert und welche Chancen sich jetzt eröffnen.

Ob auf Spotify, YouTube oder Apple Podcasts: Die Episode ist jetzt auf allen Plattformen verfügbar.

Reinhören, mitdenken, vorausgehen,es lohnt sich.

 

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