Die Quantität macht eine fehlende Qualität nicht wett

ZV-Mitglied Hannes Schiesser äussert sich im Interview zu fehlenden Bauführern und wie deren Ausbildung aussehen sollte. Er denkt, dass die vom SBV angedachten Reformen eine Chance für Schulen darstellen.

 

Schweizer Bauwirtschaft: Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Berufsbildung im Bereich des Bauhauptgewerbes? Was ist gut und was fehlt?

Hannes Schiesser: Die Ausgangslage ist sehr gut, denn wir verfügen über ein System mit sechs bewährten Funktionen, die vom Baupraktiker bis zum Baumeister reichen. An diesem Gerüst soll sich nichts ändern. Beibehalten werden sollen auch die guten Karrierechancen. Es ist aber notwendig, das an und für sich gute System auszubauen und zu verbessern. Dabei sollen die neuen Herausforderungen in der Ausbildung berücksichtigt werden. Die Ausbildung soll zukunftsorientiert sein. Dazu soll die non-formale Bildung, also Weiterbildungsmöglichkeiten in verschiedensten Bereichen, ausgebaut werden. In diesem Bereich ist es schneller möglich, auf Veränderungen zu reagieren. Zentral ist, dass die Berufswerbung attraktiv ist und sowohl Jugendliche als auch deren Eltern anspricht. Ich stelle leider immer wieder fest, dass Lehrer und Berufsberater dem Bauhauptgewerbe nicht nur positiv gegenüberstehen. Das bedingt, dass die Vorteile einer Lehre auf dem Bau besser kommuniziert werden müssen.

 

Gibt es bereits einen Fachkräftemangel und wenn ja, wie zeigt sich dieser konkret?

Schiesser: Die Zahl von Lehranfängern ist dramatisch gesunken! Im Jahr 2010 verzeichneten wir 1200 Lehranfänger, im Jahr 2019 waren es gerade noch knapp 720. Dazu kommt, dass bis zu 20 Prozent der Lehrenden ihre Ausbildung noch im ersten Lehrjahr abbrechen. Die Gründe dafür liegen unter anderem im Umstand, dass heutige Jugendliche keine handwerklichen Kenntnisse mehr besitzen und erst nach Lehrbeginn merken, dass ihnen handwerkliche Tätigkeiten keinen Spass bereiten. Dazu kommt, dass wir die Möglichkeit bieten, sich mit 60 Jahren frühpensionieren zu lassen. Wenn man weiss, dass der Anteil über 50 -Jähriger auf dem Bau bei über 40 Prozent liegt, kann man sich vorstellen, dass auf uns eine grosse Pensionierungswelle zurollt. Wenn nicht Gegensteuer gegeben wird, kommt ein sehr grosser Fachkräftemangel auf uns zu. Es werden nicht nur Maurer, sondern auch Vorarbeiter, Poliere und weitere Kaderleute, insbesondere Bauführer, fehlen.

 

Wie geht Ihr Betrieb mit dieser Situation um?

Schiesser: Wir versuchen, unseren Lehrlingen die Aufstiegsmöglichkeiten aufzuzeigen und nach Möglichkeit begleiten wir sie während der ganzen Karriereplanung. Auch dem Thema Quereinsteiger stehen wir grundsätzlich positiv gegenüber, es muss allerdings sichergestellt werden, dass sie eine gute Ausbildung erhalten, damit sie imstande sind, ihre Arbeiten kompetent auszuführen. Sonst wird die Qualität der Arbeit nachlassen. Diese Gefahr wurde vom verantwortlichen Projektteam erkannt und es werden neue Möglichkeiten geschaffen, das fehlende Wissen zu kompensieren. Die formale Berufsbildung, die Lehre und die Abschlüsse im Kaderbereich, ist das eine, hier braucht es einheitliche Standards und eine einheitliche Qualität, das ist unbestritten. Das Gleiche gilt aber auch für die non-formale Bildung, also für Weiterbildungskurse. Im Übrigen denke ich, dass diese eine Chance für die Bildungsanbieter darstellen. Sie können bedarfsgerechte Kurse entwickeln und verkaufen. Dabei können sie sehr schnell auf aktuelle Entwicklungen wie die Digitalisierung reagieren. In der formalen Bildung ist man diesbezüglich weniger schnell, aber in diesem Bereich müssen vor allem die Grundkenntnisse des Berufs vermittelt werden, auf denen später aufgebaut werden kann. Nicht alle Fachkräfte brauchen beispielsweise ausgeprägtes Wissen im Bereich BIM. Aber für diejenigen, welche damit arbeiten, soll die Zusatzqualifikation erhältlich sein.

 

Welche Ansprüche stellen Unternehmer an eine bedarfsgerechte Berufsbildung?

Schiesser: Alle Berufsleute müssen nach ihrer Ausbildung über die verlangten Kompetenzen verfügen und nach ihrem Abschluss einsatzfähig sein. Sie müssen über das Wissen verfügen, das ihrer Anstellung entspricht. Es soll nicht sein, dass man jemanden mit einem offiziellen Abschluss einstellt und feststellt, dass man ihn erst noch anlernen muss.

 

Wenden wir uns einer Berufsgruppe zu, bei der der Fachkräftemangel besonders gross ist: Den Bauführer. Was macht das Anforderungsprofil des Bauführers so komplex?

Schiesser: Sie sind immer wieder unvorhersehbaren Aufgaben ausgesetzt und stehen verschiedenen Ansprechsgruppen gegenüber. Dabei müssen sie nicht nur mit einem enormen Zeit- und Kostendruck fertig werden, sondern auch mit der grossen fachlichen Verantwortung.

 

Wo liegt der Handlungsbedarf?

Schiesser: Bauführer sind auf dem Arbeitsmarkt ein rares Gut. Eine Umfrage bei den Erfa-Betrieben aus dem Jahr 2016 belegt, dass rund die Hälfte der Bauführer nicht über ein entsprechendes Diplom verfügt. Das bedeutet, dass sie sich «hochgearbeitet» haben, sie besitzen etwa den Fachausweis als Polier und sind nun als Bauführer tätig. Die Funktion des Bauführers ist für eine funktionierende Baustelle sehr wichtig. Viele Bauunternehmer stellen bei dieser Funktion allerdings einen Qualitätsmangel fest. Ein Problem stellen dabei nicht nur zu wenig gut qualifizierte Bauführer dar, sondern auch Bauführer, die mit zu wenig Baupraxis in die Ausbildung gestartet sind. Deswegen denke ich, dass man die Eintrittsschwelle bezüglich Praxiserfahrung erhöhen sollte, gerade für Quereinsteiger. Heute ist es möglich, dass Personen die Bauführerausbildung durchlaufen, die vorher noch nie auf einer Baustelle gearbeitet haben. An ihrer ersten Stelle als Bauführer sind sie dann heillos überfordert, weil ihnen grundlegendes Basiswissen fehlt. Es nützt nichts, wenn wir, weil uns Bauführer fehlen, einfach möglichst viele Bauführer ausbilden. Die Quantität macht eine fehlende Qualität nicht wett. Was wir brauchen sind nicht Bauführer mit Diplom, sondern mit Kompetenz.

 

Wie soll sich das auf die Ausbildung auswirken?

Schiesser: Die Abschlussprüfung soll schweizweit die gleiche sein und die Ausbildung soll sich danach ausrichten. Die Bauunternehmer wissen dann, dass alle diplomierten Bauführer, egal wo sie ihre Ausbildung durchlaufen haben, über die benötigten Kompetenzen verfügen

 

Wenn man die Schwelle höher ansetzt, wird es anfänglich weniger Bauführer geben. Stellt das nicht ein Problem dar?

Schiesser: Nein, weil die überforderten Bauführer entweder in einem Burn-out enden oder aber die Branche rasch nach Ausbildungsende verlassen. Überforderte Bauführer können Massnahmen treffen, die die Arbeitssicherheit gefährden und stellen daher für den Unternehmer und für das Team eine Belastung dar. Für Schulen bietet sich die Chancen, dass sie neu Quereinsteiger mit dem Berufswunsch Bauführer mit speziellen Kursen gezielt auf die Ausbildung vorbereiten können. Ihnen werden also keine Schüler entgehen, ganz im Gegenteil.

 

Welche Verantwortung tragen die Unternehmer?

Schiesser: Sie sollen die Bauführer in Ausbildung unterstützen, indem sie sie eng begleiten und ihnen laufend mehr und mehr Verantwortung übertragen, so dass sie an ihren Aufgaben wachsen können und so optimal auf die künftige Tätigkeit als Bauführer vorbereitet werden. Gute Leute sollen gefördert werden. Das betrifft aber nicht nur die Bauführer, das gilt generell.

 

 

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Schweizerischer Baumeisterverband

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