Digitale Fertigung mit Beton

Dr. Lukas Gebhard ist Bauingenieur mit einer Leidenschaft für Forschung und Anwendung von innovativen Bautechnologien und nachhaltigem Bauen. Dieses Jahr hat er sein Doktorat an der ETH Zürich abgeschlossen.

Dr. Lukas Gebhard ist Bauingenieur mit einer Leidenschaft für Forschung und Anwendung von innovativen Bautechnologien und nachhaltigem Bauen. Dieses Jahr hat er sein Doktorat an der ETH Zürich abgeschlossen. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Massiv- und Brückenbau unter der Leitung von Prof. Dr. Walter Kaufmann. Innerhalb des nationalen Forschungsschwerpunkts «Digitale Fabrikation» forscht er zum Thema der tragenden Anwendungen von digital gefertigten Betonelementen.

Welche persönliche Erfahrung oder Erkenntnis hat Ihren Weg in die Welt des Massiv- und Brückenbaus geprägt und Ihre Leidenschaft für dieses Forschungsgebiet geweckt?

Meine Begeisterung für das Feld des Bauingenieurwesens und die gebaute Umwelt im Allgemeinen hat ihre Wurzeln in meiner Familie. Ich bin in einem Umfeld von Landschaftsarchitekten und Architekten aufgewachsen, wollte jedoch das Thema Bauen mit meiner Leidenschaft für Mathematik und Physik verbinden. Deswegen habe ich mich für das Bauingenieurwesen entschieden. Im Studium habe ich dann schnell erkannt, dass Bauingenieure eine grosse Verantwortung tragen und dass es in der Bauindustrie noch viel Raum für Verbesserungen gibt, vor allem in Bezug auf Nachhaltigkeit. Während meines Masterstudiums hatte ich dann erste Kontakte mit der Digitalen Fertigung und war davon fasziniert. Ich habe jedoch auch festgestellt, dass für eine realistische und sinnhafte Umsetzung noch umfangreiche Forschung erforderlich ist. Ausserdem hat mich der Austausch mit anderen Disziplinen immer motiviert. In der digitalen Fertigung können überzeugende Lösungen nur in enger Zusammenarbeit mit Architekten und Materialwissenschaftler erreicht werden. Daher war das Doktorat in diesem Bereich ideal, um meine Begeisterung für das Bauen und die nachhaltige Gestaltung der Umwelt in einem interdisziplinären Ansatz zu verbinden.

Könnten Sie uns eine präzise Definition von «Digitaler Fertigung mit Beton» geben und wie sie sich von herkömmlichen Fertigungsmethoden unterscheidet?

Digitale Fertigung mit Beton (DFB) umfasst ein breites Spektrum von Technologien, bei denen einer oder mehrere Schritte von herkömmlichen Bauverfahren mit Beton automatisiert werden, um, im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren, Betonelemente ohne oder mit minimaler Schalung zu produzieren. Die wohl bekannteste dieser Technologien ist der Beton-3D-Druck, bei dem Beton Schicht um Schicht extrudiert wird und so in einem additiven Verfahren Betonelemente erstellt werden. Neben dem Beton-3D-Druck forschen wir an der ETH auch an vielen anderen Technologien wie beispielsweise hauchdünnen gedruckten Kunststoffschalungen für komplexe Geometrien oder gestrickte Textilschalung.

Warum hat sich DFB in den letzten Jahren zu einem Trend in der Bauindustrie entwickelt?

Die Begeisterung für diese neuen Technologien und besonders den Beton-3D-Druck kommt meiner Meinung nach von dem Versprechen mehrere Herausforderungen der Bauindustrie gleichzeitig zu lösen. Durch das erhöhte Mass an Automatisierung und den präzisen Einsatz von Materialien versprechen diese Technologien nachhaltiger und günstiger zu bauen und gleichzeitig die Arbeitssicherheit zu erhöhen. Allerdings ist dieser Trend noch jung und bis jetzt handelt es sich vielfach noch eher um ein Versprechen als die Realität. Es braucht also noch weitere Forschung und Entwicklung, um dieses Versprechen in die Realität umzusetzen.

Welche Rolle spielten bestimmte Meilensteine, wie die Urschel Wall Building Machine oder die Arbeit von Prof. Khoshnevis, bei der Entwicklung von DFB?

Die Geschichte der Urschel Wall Building Machine geht zurück auf die 1940er Jahre und wurde entwickelt, um zylindrische Silos mit einem Verfahren, ähnlich dem heutigen 3D-Druck, zu bauen. Für die damalige Zeit ein Meisterwerk der Technik. Leider wurde diese Technologie nicht weiterentwickelt und der eigentliche Startschuss für den heutigen Trend kam dann erst um die 60 Jahre später mit Prof. Khoshnevis, der mit seiner Technologie «Contour Crafting» den Startschuss für die heutigen Entwicklungen im 3D-Beton-Druck gegeben hat.

Könnten Sie einige bemerkenswerte Anwendungen von DFB-Technologien aufzeigen?

Das Aushängeschild der digitalen Fertigung an der ETH Zürich ist das DFAB-House (welches im Rahmen des Architekturpreises BETON im Jahre 2021 ausgezeichnet wurde), eine Wohneinheit im NEST an der EMPA. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass verschiedene digitale Fertigungsverfahren zusammen umgesetzt wurden. In dieser Einheit wurden alleine im unteren Geschoss drei verschiedene DFB-Technologien eingesetzt. Für die Stützen der Fassade wurde Smart Dynamic Casting verwendet; eine Technologie bei dem komplex geformte Stützen mit einer sehr kurzen und adaptiven Schalung hergestellt werden. Für die doppelt gekrümmte Wand wurde Mesh Mould eingesetzt, bei dem ein robotergefertigtes engmaschiges Bewehrungsnetz als Schalung und Bewehrung gleichzeitig dient. Für die Smart Slab, die material-optimierte Geschossdecke, sind neuartige 3D-gedruckte Schalungselemente und ein Glasfaserspritzbeton zur Anwendung gekommen. Heute wird diese Einheit aktiv bewohnt und dient gleichzeitig dazu, das Langzeitverhalten zu testen.

Die weltweit wohl bekannteste Anwendung ist das Drucken der Wände von ganzen Häusern. Dabei wird entweder ein Drucker aufgestellt, der grösser ist als das gesamte Bauwerk oder es wird ein mobiler Roboter eingesetzt. Die Wände werden dann mit Beton gedruckt. Allerdings sehen wir diesen Anwendungsbereich etwas kritisch, da hier Mauerwerkswände mit unbewehrtem Beton ersetzt werden, was aus Nachhaltigkeitsbetrachtungen nicht unbedingt Sinn ergibt, da hier die statischen Anforderungen recht gering sind und die guten Eigenschaften des Betons nicht voll ausgenutzt werden.

Welche unterschiedlichen Bauteile und Strukturen können mit DFB hergestellt werden?

Das Einsatzgebiet von DFB ist sehr unterschiedlich und es lassen sich eine Vielzahl von Bauteilen und Strukturen herstellen. Ausschlaggebend ist dafür natürlich die Wahl der Technologie und ihrer Umsetzung. So gibt es im Beton-3D-Druck zum Beispiel die Möglichkeit, die Elemente in der Vorfabrikation herzustellen oder wie bereits erwähnt, dass ein Roboter auf der Baustelle aufgebaut wird, der grösser als das Bauwerk ist. Die Anwendungen reichen von einfachen Blumentöpfen bis hin zu ganzen Häusern. Das Anwendungsfeld ist also gross. Am Anfang sollte allerdings immer die Frage stehen: Ist DFB für dieses Bauteil oder diese Struktur die richtige Wahl?

Eine zentrale Herausforderung ist dabei der Schritt von der Wissenschaft in die Praxis. Als Forscher fokussieren wir uns meistens auf einen spezifischen Teil des Problems und können gegebenenfalls einzelne Aspekte ausklammern. Zum Beispiel stehen bei einiger unserer Forschungsprojekte der effiziente Materialeinsatz aus statischer Sicht im Mittelpunkt. Den Einfluss, den die Materialreduzierung dann auf den Schall- oder Brandschutz hat, wird nur nachrangig betrachtet. In der Realität ist dies nicht möglich. Dort müssen alle Vorgaben klar eingehalten werden. Um DFB sinnvoll voranzubringen, sind wir deswegen aktuell dran, ganzheitlichere Betrachtungen zu berücksichtigen, um unsere Technologien und Ideen noch näher an die Realität zu bringen. Neben den Herausforderungen in der Forschung, ist die Bauindustrie konservativ und selten bereit, Risiken einzugehen. Deswegen ist es wichtig, die Forschung eng mit der Industrie zusammen zu entwickeln und Vertrauen in neue Technologien aufzubauen. Pilotprojekte, wie das eben erwähnte NEST, bieten dafür ideale Randbedingungen.

Könnten Sie genauer auf die Herausforderungen im Bereich der Material- und Tragwerksüberlegungen eingehen? Welche Fortschritte und Forschungen werden in diesen Bereichen durchgeführt?

In DFB wenden wir altbekannte Materialien wie Beton auf innovative Weise an. Dadurch ergeben sich sowohl Veränderungen als auch Kontinuität auf der Materialebene. Wo immer möglich greifen wir auf bestehendes Wissen zurück, müssen aber auch viel neu erkunden. Ein zentraler Punkt, beispielsweise, ist der Einfluss von den Schichtung im Beton auf das Tragverhalten. Je nach Drucksystem, Materialwahl, Druckgeschwindigkeit oder Umwelteinflüsse kann das Verhalten von dem gedruckten Element sehr unterschiedlich sein. Es gibt also viele Faktoren, die wir verstehen und berücksichtigen müssen.

Auf Tragwerksebene müssen wir das Materialverhalten verstehen und uns überlegen, wie wir die Elemente sinnvoll und sicher einsetzen. Besonders die Integration von Bewehrung und die Verbindung zwischen Elementen sind zentrale Themen, mit denen wir uns befassen.

Warum ist die Anwendung von DFB für Tragwerke eine der grössten Herausforderungen und wie versucht die Forschung dieses Problem zu lösen?

Einer der grössten Herausforderungen bei der Umsetzung von Tragwerken mit DFB ist die Integration von Bewehrung. Beton ist bekanntlich sehr stark auf Druck, jedoch spröde und schwach auf Zug. Deswegen kombinieren wir Beton für tragende Anwendungen immer mit Bewehrung. Diese Bewehrungsintegration ist allerdings nicht so einfach für DFB. Dadurch, dass der Roboter beispielsweise ein Element additiv produziert, wäre ein herkömmlicher Bewehrungskorb im Weg. In der Forschung probieren wir deswegen verschiedene Ansätze der Bewehrungsintegration aus und untersuchen auch alternative Materialien wie Fasern oder Textilen. Um anschliessend das Tragverhalten zu verstehen, produzieren wir Versuchskörper und führen Belastungstests durch. Die Ergebnisse dieser Experimente können wir dann nutzen, um zu untersuchen, wie sich das Bauteil verhält und wir können Modelle entwickeln, um das Verhalten vorauszusagen. Neben der Integration der Bewehrung gibt es für tragende Anwendungen auch noch viele andere Herausforderungen, wie die Verbindung zwischen Elementen, das Langzeitverhalten und viele mehr.

Wo sehen Sie die Zukunft von DFB? Welche potenziellen Auswirkungen könnte diese Technologie auf die Bauindustrie haben?

DFB steht noch in seinen Anfängen und es ist schwer vorherzusagen, wie die Zukunft ausschauen wird. Es gibt mehr und mehr Projekte, bei denen DFB eingesetzt wird und der Trend ist weiterhin steigend. Aktuell sind diese Entwicklungen aber vor allem bei nicht-tragenden Anwendungen oder im Bereich von ein- bis zweigeschossigen Bauten. Langfristig wird dieser Trend wahrscheinlich noch zunehmen, aber ich bezweifle, dass DFB herkömmliche Bauverfahren komplett ablösen wird. Ich sehe DFB viel mehr als einen neuen Bereich der Bauindustrie, der aktuelle Praktiken hinterfragt sowie herausfordert und für verschiedene Einsatzgebiete die effizientere und/oder nachhaltigere Lösung sein wird.

Ich glaube ausschlaggebender für eine nachhaltige Gestaltung der gebauten Umwelt ist, dass wir uns wieder auf die Grundtugenden des Bauingenieurwesens beziehen und in enger Zusammenarbeit mit anderen Bauschaffenden gemeinschaftlich gute und effiziente Lösungen entwickeln.

Dr. Lukas Gebhard
ETH Zürich

Gibt es spezifische Anwendungen oder Projekte, auf die Sie besonders gespannt sind?

Aufgrund meiner Forschung bin ich natürlich vor allem gespannt auf den Einsatz dieser Technologien für herausfordernde tragende Elemente und darauf, wie sich dieses Feld weiterentwickeln wird. Ausserdem arbeiten wir momentan unter Hochdruck an der Umsetzung eines 30 Meter hohen Turms in Mulegns, der uns vor einige Herausforderungen stellt. Ich bin gespannt auf das Ergebnis und darauf, welchen Einfluss dieser Turm auf die Region haben wird.

Inwiefern kann DFB dazu beitragen die negativen Umweltauswirkungen der Bauindustrie zu reduzieren?

Das Hauptargument für eine nachhaltigere Zukunft der Bauindustrie durch DFB liegt im gezielten Einsatz von Material und der Möglichkeit, optimierte Tragwerke effizient herzustellen. Optimierte Tragwerke weisen typischerweise einen höheren Grad an Komplexität auf. Für den Roboter spielt es jedoch keine Rolle, ob er etwas geometrisch Einfaches oder Komplexes produzieren muss. Dadurch lassen sich effiziente Elemente ohne oder mit minimierten Schalungsabfällen umsetzen. Dies ermöglicht Ingenieuren effizientere Tragwerke zu planen und mit reduziertem Materialverbrauch umzusetzen.

An dieser Stelle sollte allerdings erwähnt werden, dass die Materialien die aktuell in der digitalen Fertigung mit Beton und speziell beim Beton-3D-Druck eingesetzt werden, typischerweise schlechter abschneiden als konventioneller Beton, was den CO2-Fussabdruck betrifft. Deswegen ist bei der Betrachtung der Nachhaltigkeit immer ein ganzheitlicher Ansatz notwendig. Nur weil etwas digital gefertigt wurde, bedeutet es nicht automatisch, dass es auch eine nachhaltige Lösung ist.

Wie berücksichtigt die Forschung sozioökonomische Aspekte und die Nachhaltigkeit von DFB?

Wenn wir von Nachhaltigkeit reden, ist der Fokus aktuell oft auf der ökologischen Nachhaltigkeit. Aber die anderen Säulen der Nachhaltigkeit, wie wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit, müssen natürlich auch berücksichtigt werden. Bei uns in der Forschung spielt das Nachhaltigkeitsthema eine zentrale Rolle und wir versuchen unsere Projekte immer am Status-Quo zu messen und diesen zu verbessern. Es ist schwierig in der Forschung alle komplexen Zusammenhänge der verschiedenen Säulen der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Deswegen haben wir innerhalb des Forschungsschwerpunkts eigene Projekte, die sich vor allem mit den sozioökonomischen Auswirkungen dieser neuen Technologien befassen und im engen Austausch mit anderen Forschern stehen. Eine der zentralen Fragen dabei ist beispielsweise, wie sich unsere neuen Technologien auf die Arbeit der Zukunft auswirken könnten und wie zukünftige Generationen ausgebildet werden müssen, um diese Zukunft positiv mitzugestalten.

Als Forschungsassistent im nationalen Forschungsschwerpunkt Digitale Fabrikation arbeiten Sie an der Schnittstelle von Bauwesen und Technologie. Welche neuen digitalen Fertigungstechniken oder Technologien haben Ihrer Meinung nach das grösste Potenzial die Zukunft des Bauwesens zu gestalten und wie tragen Sie dazu bei?

Meiner Meinung nach wird es nicht eine Technologie geben, die für jede Anwendung eine Lösung bieten wird. Aktuell ist der Beton-3D-Druck das Verfahren, das am weitesten verbreitet ist und sowohl in der Forschung als auch in der Industrie die grösste Aufmerksamkeit erhält. Ich glaube, ausschlaggebender für eine nachhaltige Gestaltung der gebauten Umwelt ist, dass wir uns wieder auf die Grundtugenden des Bauingenieurwesens beziehen und in enger Zusammenarbeit mit anderen Bauschaffenden gemeinschaftlich gute und effiziente Lösungen entwickeln. Welche Technologie wir dann wählen, um diese Lösungen umzusetzen, muss dann von Fall zu Fall evaluiert werden.

Wenn Sie einen Wunsch an die Bauindustrie oder die Betonindustrie äussern könnten, was wäre dieser?

Die Bau- und vor allem die Betonindustrie stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Aber mit solchen Herausforderungen sind auch immer grosse Chancen verbunden. Mein Wunsch ist es, dass die Industrie diese Chancen ergreift, indem sie mutig Altbewährtes hinterfragt und offen ist für innovative und nachhaltige Lösungen. Um dies zu erreichen, braucht es eine enge Zusammenarbeit aller Akteure, aber auch einen engen Austausch zwischen Forschung und Praxis. Spezifisch für die Betonindustrie wünsche ich mir eine klare Reduktion des CO2-Gehaltes im Beton und vor allem eine proaktivere, offene und transparente Kommunikation.

Dieser Beitrag stammt von «Beton 2030» eine Dokumentation von Betonsuisse.

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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