Digitalorientierte Bauberufe attraktiv machen

Die Baustellen der Zukunft werden deutlich digitaler sein als heute. Neue digitalorientierte Berufsprofile sollen den Bau für Quereinsteiger und junge Frauen attraktiver machen und dem Mangel an Fachkräften entgegenwirken.

Die Baustellen der Zukunft werden deutlich digitaler sein als heute. Neue digitalorientierte Berufsprofile sollen den Bau für Quereinsteiger und junge Frauen attraktiver machen und dem Mangel an Fachkräften entgegenwirken. Ein Gespräch mit Ramon Schweizer, Leiter Visual Design and Construction bei Erne AG.

Wie sieht das Bauen in 10-15 Jahren aus? 

Handwerkliche Fähigkeiten wie Mauern, Schaufeln und Pflastern werden auch künftig gefragt sein, da gibt es keinen Zweifel. Aber es werden neue Fähigkeiten dazukommen. Wir werden grosse Fortschritte in der Digitalisierung gemacht haben. Die körperliche Arbeit auf den Baustellen wird immer notwendig bleiben. Elementar wird sein, dass der Mitarbeitenden mit den digitalen Tools vertraut sind und von den Vorteilen wie zum Beispiel der Entlastung von administrativen Aufgaben profitieren. So können sie ihren Fokus vermehrt aufs Bauen legen und effizienter sein.

Spricht die Digitalisierung vor allem Junge an? 

Das ist richtig, aber nicht nur. Bei Erne haben wir viele neue und erfahrene Mitarbeitende, die zu uns gekommen sind, weil unsere digitalen Arbeitsmittel sie ansprechen. Sie bekommen die Chancen auf moderne Arbeitsmethoden, die nicht überall in der Branche etabliert sind. Das motiviert natürlich auch junge Fachkräfte.

Bei vielen Baufirmen darf man erst nach Jahren der Betriebszugehörigkeit an die teuren Maschinen. Wie löst Erne diesen Kulturwandel? 

Viele junge Menschen sind mit einem Tablet aufgewachsen und haben einen intuitiven Umgang beispielsweise mit einer Drohne. Bei Erne vertrauen wir auch neuen Mitarbeitenden teurere Arbeitsgeräte wie den Tachymeter an, weil wir darauf setzen, dass sie sorgsam damit umgehen. Bisher haben wir damit gute Erfahrungen gemacht und es steigerte die Attraktivität des Jobs und die Loyalität zum Arbeitgeber.

Wie erleben ältere Mitarbeitende die Digitalisierung? 

Interessanterweise ist der Polier, der die Digitalisierung bei Erne von Beginn an massgeblich vorangetrieben hat, bereits über 50 Jahre alt. Er setzte unsere erste digitale Baustelle, ein Wohn- und Geschäftshaus, komplett digital um. Heute ist er einer der wichtigsten Befürworter für BIM und konnte seither viele erfahrene Poliere für digitale Arbeitsmethoden begeistern. Das Alter ist also nicht unbedingt entscheidend, ob jemand digital affin ist. Es ist die Einstellung. Natürlich braucht es bei den langjährigen Mitarbeitenden etwas mehr Unterstützung und Schulung als bei der jüngeren Generation.

Das Alter ist nicht unbedingt entscheidend, ob jemand digital affin ist. Es ist die Einstellung.

Ramon Schweizer

Was bedeutet „Digital“ bei Erne?

Wir arbeiten nahezu papierlos. Wir unterscheiden zwischen statischen und dynamischen Dokumenten. Zu letzteren gehören beispielsweise Pläne. Diese ändern sich laufend und sind deshalb bei Erne nur noch online verfügbar. Damit stellen wir sicher, dass immer mit der aktuellsten Version gearbeitet wird. Wir arbeiten auch viel mit dynamischen digitalen Modellen. Im Hochbau verlegen wir Bewehrungen praktisch nur noch anhand des 3D-Modells. Auch bei Vermessung und Mengenermittlung bietet das Modell Vorteile. Unsere Poliere können Betonkubaturen mit einem Klick auslesen und ihre Betonbestellungen effizient über ein Onlinesystem ausführen. Für die Schalung verwenden wir noch den klassischen 2D-Plan plus ein Modell, das zur Schalung passt.

Das klingt so einfach und logisch … 

Der Sprung von Papier zu digital darf nicht unterschätzt werden. Man darf die Mitarbeitenden nicht überfordern. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden. Der Erfolg der bisherigen Projekte hat sich schnell herumgesprochen und wir haben parallel dazu versucht, die Vorteile aufzuzeigen. Dies hat weitere Poliere motiviert. Ebenso hat es Vorurteile abgebaut und ihnen die Unsicherheit genommen. Ich bin überzeugt, dass «BIM to field» nur noch eine Frage der Zeit ist. Bis dahin kann jeder lernen. Das gibt Sicherheit und irgendwann ist es für alle normal.

Wie lief das bei Erne ab?

Vor knapp vier Jahren haben wir uns entschieden, die Digitalisierung bei Erne voranzutreiben. Im Zuge dessen wurde meine Stelle geschaffen. Zu Beginn fragten sich viele Kollegen und Kolleginnen, was ich denn genau mache. Für mich war immer klar, dass Digitalisierung nicht nur von oben vorgegeben, sondern auch unten gelebt werden muss. Mein Glück war es, schnell einen Polier für das Pilotprojekt zu gewinnen. Die Erfahrungen waren sehr positiv, sodass bald schon Anfragen zum digitalen Bauen von verschiedensten Polieren auf der Baustelle kamen. Entsprechend konnte ich mein Team aufbauen. Inzwischen sind wir in der Abteilung Visual Design and Construction acht Personen und bilden auch Lernende aus. Immer noch gilt: Wir haben draussen ein Problem und brauchen eine Lösung. Dann können wir den nächsten Schritt machen, und den nächsten und den nächsten. Wir haben klein angefangen mit Pilotprojekten und arbeiten heute systematisch mit digitalen Standards.

Mit neuen Angeboten und modernen sowie digitalen Arbeitsmethoden gelingt es uns, junge Menschen in der Mittelschule für einen spannenden und zugleich zukunftsorientierten Job zu begeistern.

Ramon Schweizer

Sind mittlerweile alle Ihre Baustellen digital?

Eine digitale Baustelle muss sich rechnen und das ist nicht bei jedem Auftrag der Fall. Bei Erne haben wir digitale Standards mit unterschiedlichen Stufen definiert. Wenn wir eine Baustelle digital umsetzen wollen, besprechen wir dies vorher immer mit den Planern.

Sind denn alle Planer und Ingenieure bereits digital fit?

Wir haben bisher 30 komplett digitale Baustellen abgewickelt. Fast ausnahmslos hatten die Planer selbst ein 3D-Modell ins Projekt eingebracht. Bei kleineren Bauten ist das oftmals anders. Kleinere Planerfirmen sind zum Teil digital noch nicht so weit. In diesem Fall schliessen wir die Lücke, indem wir eigene Modelle entwickeln, die unserem Standard entsprechen. Das ist die Aufgabe meiner Abteilung. Wir übernehmen oft die Vermittlung zwischen Planer und Polier. Das Ziel ist, dass unsere Mitarbeitenden immer im gleichen und gewohnten Erne-Standard arbeiten können.

Wenn die Zukunft des Baus digital sein wird, wie muss sich die Berufsbildung wandeln?

Der Wandel wird ganz sicher kommen. Uns fehlen viele Fachkräfte auf dem Bau. Ich habe sehr positive Erfahrungen mit der SBV-Bildung gemacht. In kleinen Arbeitsgruppen haben wir ein praxisnahes Kompetenzprofil für einen digitalorientierten Bauberuf entwickelt, das einen Mehrwert schafft und attraktiv für Jugendliche ist. Im Mittelpunkt steht die Aufgabe, neue Zielgruppen für den Bau zu gewinnen. Als Unternehmen müssen wir Quereinsteiger und vermehrt Frauen ansprechen, indem wir attraktive Alternativen zur Kantonsschule und zum Gymnasium bieten. Mit neuen Angeboten und modernen sowie digitalen Arbeitsmethoden gelingt es uns, junge Menschen in der Mittelschule für einen spannenden und zugleich zukunftsorientierten Job zu begeistern.

Zur Person 

Ramon Schweizer (1992) ist gelernter Bauzeichner. Nach ersten Erfahrungen mit BIM interessierte er sich zunehmend für die Digitalisierung und studierte Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Luzern. Seit 2021 arbeitet er bei Erne, zuerst als Leiter BIM, mittlerweile als Leiter VDC (Visual Design and Construction). Als Handballer auf Leistungsniveau beim HSC Suhr Aarau und STV Baden ist Schweizer überzeugt vom Teamgedanken, was er auch im Job umsetzt.

Über den Autor

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Thomas Staffelbach

Chefredaktor

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