Ein baukultureller und ökologischer Mehrwert

In Zürich-Altstetten wird ein 80 Meter hohes Wohnhochhaus realisiert. Bei der Planung der Liegenschaft in Skelettbauweise wurde an alternative Nutzungen und den Rückbau gedacht.

 

Lange Jahre war die Hiag AG auf dem Holzweg, sprich verdiente das Geld mit dem Handel und der Bearbeitung von Holz. Im Jahr 2014 zog sie sich aus dem Holzhandel zurück und ist seither als Immobilienentwicklerin auf Projekte auf Industriebrachen spezialisiert. Eines dieser Projekte befindet sich an der Kreuzung Balser-/Freihofstrasse in Zürich-Altstetten. An der Freihofstrasse 25 soll ein 80 Meter hohes Gebäude mit Wohn- und Gewerbenutzung erstellt werden.

Altstetten ist ein Zürcher Stadtteil, der sich rasant entwickelt und bei dem konsequent verdichtet wird. Dies ist auch beim Projekt Freihofsrasse 25 der Fall. Das Wohnhochhaus soll auf Bestehendem aufgebaut werden, genauer auf dem Garagenkomplex der Garage Binelli.

 

Wahl fiel auf Beton

Entsprechend der Geschichte der Bauherrin war in einem ersten Moment angedacht, das Wohnhochhaus in Holz oder als Hybridbau zu erstellen, wobei Nachhaltigkeitsüberlegungen eine grosse Rolle spielten. Gewählt wurde schliesslich aus diesem Grund eine filigrane, ressourcenschonende Betonstruktur mit einer Leichtbaufassade. Warum fiel die Wahl auf Beton? «Die Gegenüberstellung der Konstruktionsarten durch die Fachleute Nachhaltigkeit (Durable) hat für den Holzbau keinen ökologischen Vorteil ergeben», sagt Andreas Sonderegger von Pool Architekten. Und erläutert: «Einerseits wurde die Betonstruktur radikal verschlankt, um den CO2-Verbrauch zu minimieren. Andererseits führt vor allem der Brandschutz im Holzbau zu einer komplexen und materialintensiven Verkleidungsthematik.»

 

Teiltransformation

Die schöne Betonstruktur der ehemaligen FIAT-Autogarage aus den 1950er Jahren kann zum grössten Teil erhalten werden. «Das ist ein baukultureller, aber auch ein nutzungsmässiger und ökologischer Mehrwert», meint Sonderegger. Die Teiltransformation bedeutet, dass die Shedhalle sowie die Ausstellungs- und Montagehalle der Garage samt UG weitgehend erhalten bleiben. Die Shedhalle wird einer öffentlichen Nutzung zugeführt: Ein Grossverteiler wird ein modernes Konzept ansiedeln, mit einer integrierten Bäckerei und vielen frischen Produkten. Im vorderen Teil sind ein Café oder eine lauschige Bar möglich.

Neu gebaut werden das Wohnhochhaus, die Tiefgarage 1. UG und der Luftschutzkeller 2. UG.

Die Schonung von Bestandesbauten und Freiräumen sei ein wichtiger Aspekt, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, denkt Sonderegger. Verdichtetes Bauen führe häufig zu einer Zerstörung des Wohnumfeldes und somit zu einem Identitätsverlust. Dies sei hier nicht der Fall.

 

Nachhaltig bauen mit Beton

«Stahlbeton ist das wichtigste Baumaterial der Gegenwart. Die Betonproduktion verbraucht allerdings beträchtliche Ressourcen und produziert grosse Mengen von Schadstoffen. Die Forschung arbeitet an der ökologischen Verbesserung der Betonproduktion. Doch es gibt auch Verbesserungspotential in der Planung. Was wir von der Vergangenheit lernen können, ist ein sparsamer und verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen – auch beim Beton», gibt Sonderegger zu bedenken. Weiter sei es wichtig, bei der Planung eine Gesamtenergiebilanz zu ziehen, also den Verbrauch an grauer Energie, aber auch das Mobilitätsverhalten der Nutzerinnen und Nutzer in den Fokus zu rücken. «Mit der inneren Verdichtung kann nebst der Begrenzung des Siedlungsgebietes auch über neuartige Mobilitätskonzept und über eine schlanke und umweltfreundliche Mobilität im Alltag der Bewohnerschaft nachgedacht werden», findet Sonderegger.

 

Schlanke Decken

Beachtenswert ist die dünne 14-er Decke. Wie kann eine solche erreicht werden? «Die Spannweite der Deckenplatten wird minimiert, indem im Abstand von 3.60 m vorfabrizierte Unterzüge mit einem Querschnitt von 40x30 cm verlegt werden. Indem diese durch einen Überbeton mit den schlanken Deckenplatten monolithisch verbunden werden, können sie eine Spannweite von acht Metern bewältigt werden. Mit dieser aufgelösten Konstruktion kann ein Betonäquivalent von knapp 18 cm erreicht werden, während bei einer konventionellen Skelettkonstruktion mit vergleichbaren Spannweiten 28 cm dicke Flachdecken erforderlich wären», erläutert Sonderegger. Er fährt fort: «Die optimale Spannweite ist eine Frage der Deckenstärke. Nur wenn der interne Schallschutz wie im vorliegenden Fall nicht mit der Masse der Betonkonstruktion gelöst wird und zudem kaum Haustechnikleitungen in die Betonkonstruktion eingelegt werden, kann die Deckenstärke nach den statischen Anforderungen optimiert respektive minimiert werden. Für Flachdecken beträgt die Mindeststärke 20 cm, damit der im Hochhausbau erforderliche Feuerwiderstand von 90 Minuten gewährleistet ist. Bei einer Skelettbauweise mit einem regelmässigen, quadratischen Stützenraster wären damit Spannweiten um vier Meter am wirtschaftlichsten. Mit Unterzügen oder schottenartig angeordneten Tragwänden und einachsig gespannten Platten könnten diese hinsichtlich der Brandschutzanforderungen bis auf 10 cm minimiert werden. Aus konstruktiven Gründen sollte aber eine Plattenstärke von 14 cm nicht unterschritten werden, womit die gewählte Spannweite von 3.6 m als Optimum zu bezeichnen ist.»

 

Rückbau möglich

Weil ausser dem Kern alle Wände in Leichtbauweise ausgeführt sind, ist eine spätere Umnutzung möglich. Indem Einlagen in der Betonkonstruktion - abgesehen vom Bewehrungsstahl - weitgehend vermieden werden und die Betonoberflächen grösstenteils roh belassen werden, ist eine einfache Trennung und Wiederverwendung der Baustoffe nach dem Rückbau sichergestellt. «Leider geht das System aber nicht so weit, dass eine modulare Demontage und eine direkte Wiederverwendung möglich wären», bedauert Sonderegger.

 

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Susanna Vanek

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