«Eine gut ausgebaute Infrastruktur bietet grosse Chancen»

Im neuen Kundenmagazin der Bündner Bauunternehmung D. Martinelli AG zum 111-Jahre-Jubiläum gibt es ein Interview mit dem SBV-Zentralpräsident Gian-Luca Lardi. Das Kundenmagazin können Sie hier downloaden. Im Interview erläutert er, welche Bedeutung die Bauwirtschaft für Berggebiete hat, welche Entwicklungsmöglichkeiten er für diese sieht und warum er die D. Martinelli AG sehr schätzt.

 

Welche Bedeutung hat die Bauwirtschaft in ländlichen und alpinen Gebieten als Wirtschaftsmotor und Arbeitgeber?

Gian-Luca Lardi: Eine sehr bedeutende, weil die Bauwirtschaft zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen und den grössten Arbeitgebern im Berggebiet gehört. Gerade der Tiefbau spielt eine zentrale Rolle, weil etwa der Kanton Graubünden aufgrund seiner Topografie – er ist flächenmässig der grösste Schweizer Kanton – sehr grosse Investitionen in die Infrastruktur notwendig sind. Allerdings ist die Baubranche für Berggebiete nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen zentral. Die Bauunternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung von peripheren Gebieten und zur Erhöhung der Lebensqualität und angenehmem Wohnen. Damit bekämpfen sie eine potenzielle Entvölkerung und sorgen dafür, dass Berggemeinden eine Zukunft haben.

 

Die Gründung der D. Martinelli AG erfolgte, weil sich zwei Handwerker beim Bau des Hotels Suvretta trafen und sich in der Folge selbständig machten. Der touristische Aufschwung war ein wichtiges Standbein für Bauunternehmen in Berggebieten. Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative war für sie demzufolge einschneidend. Nun wird die Revision des Raumplanungsgesetzes 2. Etappe diskutiert. Kann die Revision eine Chance für Berggebiete darstellen?

Um es klarzustellen: Niemand möchte, dass die Schweiz weiter zugebaut wird. Grüne Wiesen sollen bleiben. Heute ist das Bauen ausserhalb von Bauzonen aber von zu vielen Verboten geprägt. In den Berggebieten stehen wir vor der Situation, dass landwirtschaftliche Gebäude nicht mehr als solche genutzt werden. Hier braucht es die Möglichkeit, sie anderen Nutzungen zuführen zu können, ohne dass ein zwingender Rückbau erfolgen muss. Es braucht einen gewissen Spielraum, der individuelle und pragmatische Lösungen zulässt. Die Grünflächen sind mit dem heutigen Raumplanungsgesetz gut geschützt. Wenn das beherzigt wird, dann kann die zweite Etappe der Revision eine Chance darstellen, weil eine Weiterentwicklung möglich wird. Der Schweizerische Baumeisterverband SBV setzt sich dafür ein.

 

Welche Entwicklungsmöglichkeiten haben touristische Gebiete?

Da ist einerseits die Möglichkeit, die touristische Infrastruktur auszubauen. Das können neue Hotelbauten oder gar Resorts sein, aber auch der Umbau von bestehenden Alphütten, die nicht mehr als solche genutzt werden, in einfache Ferienunterkünfte – auch das wird gesucht. Ohne eine gute Anbindung ans Unterland geht das aber nicht. Nehmen wir im Kanton Graubünden den Vereinatunnel. Er hat die Wege vom Engadin aus in die Kantonshauptstadt Chur deutlich verkürzt. Das Engadin ist somit auch näher an die städtischen Zentren im Mittelland gerückt. Das macht es für die Leute auch einfacher, dort zu wohnen. Seit dem ersten Corona-Lockdown hat sich gezeigt, dass Arbeiten im Home-Office vielfach möglich und gut ist. Gibt es eine gut ausgebaute Infrastruktur mit stabilen Netzen, die ein schnelles Internet auch in Berggebiete bringen, dann bedeutet das, dass auch junge, gut ausgebildete Leute in ihrer Heimat bleiben, weil sie gleichzeitig dennoch Karriere machen können. Viele Unterländer haben das Gefühl, die Berge seien ein Rückzugsort, der möglichst so belassen werden soll, wie er ist. Die Berge sind aber die Heimat von vielen Schweizerinnen und Schweizern, auch meine. Wenn die Bündner Dörfer auch aus Sicht der Grossstädte nicht nur Ferienorte sind, sondern auch Wohn- und Arbeitsorte, dann ist das eine grosse Chance.

 

Für die Städter sind die Berge Rückzugsorte, sagen Sie. Was bedeutet das?

Der Schweizerische Baumeisterverband hat im Jahr 2020 eine repräsentative Umfrage durchführen lassen, bei der unter anderem die Frage gestellt wurde, wie die Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2040 ihre Freizeit verbringen wollen. Das Ergebnis: In zwanzig Jahren verbringen die Befragten ihre Freizeit überwiegend in nahen Erholungsgebieten und geniessen dabei die Natur- und Berglandschaft. Die Berggebiete werden also wichtig bleiben – dafür müssen wir es aber schaffen, durch moderne Infrastrukturen dafür zu sorgen, dass sie gut erreichbar sind.

 

Sie haben bereits den Vereinatunnel angesprochen, der das Engadin mit dem Prättigau verbindet. Kann man sagen, dass der Bau eine Klammer bildet, der die Schweiz zusammenhält?

Auf jeden Fall. Es ist gerade in unserer Gesellschaft, die so vielfältig und verschieden ist und die vier Landessprachen umfasst, wichtig, dass die Distanzen kurz werden. Ich selbst wohne heute im Tessin. Das stellt für mich kein Problem dar, obwohl ich Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes bin, der seine Geschäftsstelle in Zürich hat. Mit der Flachbahn erreiche ich heute mein Büro in der Deutschschweiz viel schneller als früher. Auch das Wallis ist dank des Lötschbergtunnels näher an den Rest der Schweiz gerückt. Der Gotthard und der Lötschbergtunnel sind Teil der NEAT, dem Jahrhundertbau, der nicht nur für die Schweiz von grosser Bedeutung ist, sondern auch für Europa, als Teil der Verbindung Rotterdam-Genua.

 

Welchen Herausforderungen müssen sich Bauunternehmen in ländlichen und alpinen Gebieten stellen?

Eine grosse Herausforderung stellen in alpinen Gebieten die Witterungsverhältnisse dar. Das heisst, dass Bauunternehmen das Geld für das ganze Jahr in wenigen Monaten verdienen müssen. Ich habe bereits erwähnt, dass Bauunternehmern in Bergregionen eine wichtige Rolle zukommt, als Wirtschaftsmotor und als Arbeitgeber. Daher erachtet der Schweizerische Baumeisterverband eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten als zwingend notwendig. Dann könnten in der warmen Jahreszeit, wenn gebaut werden kann, mehr Projekte realisiert werden. Von dieser Flexibilisierung würden auch die Arbeitnehmenden profitieren, die in den kalten Monaten im Rahmen ihrer Jahresarbeitszeit ihre Überstunden kompensieren könnten. Sie müssten dann nicht in Kurzarbeit, was für sie eine Einkommenseinbusse darstellt. Ich würde mir wünschen, dass die Gewerkschaften in dieser Frage zugunsten der Arbeitnehmenden handeln und sich nicht aus ideologischen Gründen gegen die Flexibilisierung stellen würden. Das wäre für alle ein Fortschritt. Wir führen im Jahr 2022 Verhandlungen zur Erneuerung des LMV; der SBV setzt sich in diesen für die Interessen der Berggebiete ein. Wir kämpfen für die Flexibilisierung der Arbeitszeiten.

 

Welche Vorteile haben Bauunternehmer wie D. Martinelli gegenüber Bauunternehmen im Mittelland?

Trotz der teilweise bereits erwähnten Nachteile – die kürzere Periode, in der gebaut werden kann und ein insgesamt kleinerer Baumarkt – orte ich tatsächlich auch Vorteile. So ist die Bevölkerung in den Berggebieten dem Handwerk gegenüber aufgeschlossener als in den Städten. Das erleichtert die Rekrutierung des Nachwuchses. Auf die ganze Schweiz gesehen ist die Zahl der Lernenden rückläufig, der Arbeitsmarkt für Baukader ausgetrocknet. Der Schweizerische Baumeisterverband geht diese Probleme mit der Revision des Bildungs- und Weiterbildungswesens an. Das genügt aber nicht. Es braucht auch Baufirmen wie die D. Martinelli, die ihren Mitarbeitenden eine grosse Wertschätzung entgegenbringen, die gute Arbeitgeber sind und die so positiv auf das Image der Bauberufe wirken.

 

In der Coronakrise hat sich gezeigt, dass Bauunternehmen weiterarbeiten konnten, weil die Führungskräfte ihre Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden wahrgenommen hatten und diese gesund blieben. Welchen Einfluss hatte das auf das Ansehen der Baubetriebe als Arbeitgeber?

Die Baubranche wurde während der Pandemie als systemrelevant erkannt; das verbessert das Image. Ich beobachte zudem gerade bei jungen Leuten den Trend zum Selbermachen. Auf Youtube sehen sich junge Leute Videos mit «Do it yourself»-Anleitungen an. Etwas selbst herzustellen hat enorm an Wert gewonnen. Der Schweizerische Baumeisterverband SBV versucht mit seiner Berufswerbungskampagne, diese gute Ausgangslage zu nutzen, um mehr junge Leute als bisher für Bauberufe zu begeistern und ihnen aufzuzeigen, welche guten Perspektiven sie bieten.

 

Zum Schluss zu etwas ganz anderem: Was schätzen Sie an der D. Martinelli AG?

Das Unternehmen verfügt über langjährige Mitarbeitende, was belegt, dass die Unternehmensführung Wert legt auf eine gute Unternehmenskultur, dass die D. Martinelli AG also ein guter Arbeitgeber ist. Weiter gewichtet das Unternehmen die Qualität sehr hoch, was gelingt, weil die Mitarbeitenden über sehr viel Know-how verfügen. Dadurch ist es möglich, dass die Unternehmung immer wieder sehr interessante Objekte realisiert, die von einer hohen Baukunst zeugen und in denen interessante Technologien eingesetzt werden.

 

Dieser Beitrag ist im neuen Kundenmagazin der D. Martinelli zum 111-Jahres-Jubiläum erschienen. Sie können es hier downloaden.

 

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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