«Es braucht endlich ein Produktionsverständnis in unserer Branche» Dienstag, 10.12.2024 | 06:00 ... Schweizerischer Baumeisterverband Baumeister 5.0 Digitalisierung «Es braucht endlich ein Produktionsverständnis in unserer Branche» Birgitta Schock, Chairwoman buildingSMART International und Vorstandsmitglied Bauen digital Schweiz, spricht im Interview über den digitalen Wandel. Welche Führungsrolle nimmt die Schweiz bei der Digitalisierung der Baubranche im internationalen Vergleich ein?Birgitta Schock: Hier gibt es noch einen grossen Raum für Wachstum. Es fehlt das generelle Commitment wie in anderenr Länder. Deshalb haben uns andere Länder in den letzten Jahren überholt.Welche digitalen Technologien – zum Beispiel BIM, IoT, Drohnen oder KI – haben in den letzten Jahren die grössten Fortschritte in der Baubranche erzielt?Hier kann man nicht von einzelnen Technologien sprechen, sondern von deren Kombination. Einige wie BIM oder KI werden kontrovers diskutiert, andere wie Drohnen werden als nettes Gadget betrachtet, dabei wird das wahre Potential verkannt. Wenn es um Veränderungen geht, ist die Diskussion häufig angstgetrieben oder ausweichend. Dabei müssten sich die Verantwortlichen vielmehr die Frage stellen, wie die Technologien ihre Geschäftsmodelle beeinflussen und ob das persönliche Veränderungen bedingt.Welche spezifischen Ziele verfolgt Bauen Digital Schweiz in den nächsten Jahren im Bereich der Digitalisierung?An den ursprünglichen Zielen hat sich nichts Grundsätzliches geändert. Es geht um einen Austausch, neu eher in einem Ökosystem, und um Best Practices-Beispiele. Bauen Digital Schweiz sieht sich heute stärker als früher als Teil der Verbandswelt, das sich mit allen Akteuren der Wertschöpfungskette auf einen Dialog einlässt. In diesem Stakeholder-Netzwerk können die richtigen Fragen gestellt und beantwortet werden.Mit dem Building Information Modeling (BIM) soll die Durchlässigkeit von Planungs-, Bau und Bewirtschaftungsprozessen erreicht werden. Dementsprechend ist es zum Beispiel möglich, die Logistik mit BIM zu verknüpfen und in die Planung aufzunehmen -Stichwort Lean Logistik. Das bedingt unter anderem, dass das Bauen neu gedacht werden muss, nicht jedes Gewerk für sich, sondern alle zusammen für das Projekt. Welche Rollen nehmen dabei Bauherr, Planer und Bauunternehmer ein?Sie teilen sich einerseits die Verantwortung, müssen aber andererseits vieles ganz anders als bisher machen, weil es ganz neue Systeme, Materialflüsse, Fragen zu Nachhaltigkeit oder zur Entsorgung gibt. Beim Projekt Suurstoffi haben wir aufgrund des Entscheids zur Lean Logistik auch das Verkehrsaufkommen untersucht, um die Lieferlogistik optimieren zu können. Das braucht von allen Beteiligten eine starke Offenheit, Probleme klar zu benennen. Dazu gehört auch, dass man auch klar über den eigenen Geschäftserfolg und was es für diesen braucht, redet. In konventionellen Bauvorhaben bauen alle Beteiligte ihre Puffer ein, um im Falle eines Falles nicht draufzulegen. Diese Puffer entfallen, wenn Planungs-, Bau und Bewirtschaftungsprozesse transparent werden.Steigt in solchen Projekten das unternehmerische Risiko?Nein, aber es funktioniert nur, wenn alle ehrlich offenlegen, was sie für den Geschäftserfolg brauchen, wie viel sie am Projekt also verdienen müssen. Dazu braucht es ein gegenseitiges Vertrauen. Der Prozess muss so definiert werden, dass allen klar ist, was das Projektziel ist und wie dieses erreicht werden kann, ohne dass jemand drauflegt. Denn sonst ist man die Geschäftspartner los – in der Digitalisierung werden Partnerschaften, vor allem langfristige, immer zentraler. Weiter muss man diejenigen Probleme lösen, die die Zielerreichung behindern und soll nicht Lösungen diskutieren, ohne das wahre Problem erkannt zu haben. Das funktioniert übrigens auch in herkömmlichen Vorgehensweisen nicht. Neue Vertragsmodelle wie Projektallianzen senken das Risiko, aber auch sie funktionieren nur mit Offenheit und Vertrauen in einen Prozess, der von allen verstanden wird.Wie gelingt es, die einzelnen Beteiligten bei einem Projekt, die sonst voneinander unabhängig agieren, zu einem Team werden zu lassen?Die Ausrichtung auf ein gemeinsames Projektziel bewirkt das. In herkömmlichen Bauprojekten ist jedes Teil der Wertschöpfungskette in einem Schnellboot zu einem eigenen Hafen unterwegs. Das kann den Projekterfolg schmälern. Bei der digitalen Bauweise ist der Anreiz, den gleichen Hafen anzusteuern, grösser, da die Prozesse transparenter werden. steuern alle am Bau Beteiligten den gleichen Hafen an.Wie können Unternehmen ihre Mitarbeitenden auf die digitale Transformation vorbereiten?Indem sich die Leader selbst weiterbilden, weil sie verstehen müssen, wie die neuen Technologien ihre Geschäftsmodelle beeinflussen und womit sie in Zukunft Geld verdienen werden. Häufig denken viele in den oberen Etagen, es sei wichtig, sich von den Mitbewerbern zu unterscheiden – Stichwort USP. Aber in Zukunft wird es zentraler sein, Partnerschaften einzugehen. Erst wenn die Führung dies verstanden hat, kann sie Mitarbeitende zu Schulungen schicken.Gibt es spezifische Schulungsprogramme oder Zertifizierungen?Mit meinem CAS an der ETH Zürich habe ich ein sehr breites Publikum angesprochen. Das Programm wird es ab nächstes Jahr allerdings in derselben Form nicht mehr geben. Leider ist das Thema an der ETH nicht richtig angesiedelt, weil es sich doch an Praktiker richtet. Deshalb wird es ihn dort künftig nicht mehr geben. Die grosse NachfrageDas Interesse steigt zunehmend in der Schweiz zeigt aber, dass es einen solchen CAS in der Schweiz brauchnach Weiterbildung, welche auf Führungspersonen ausgerichtet ist. t. Ich führe dazu bereits Gespräche. Building Smart International engagiert sich auch sehrebenfalls stark in der Weiterbildung und entwickelt Programme. Dazu muss man wissen, dass es nicht nur um neue Technologien geht, sondern auch um künftige Organisationstrukturen. Zudem ist die bereits erwähnte Frage zentral, womit man Geld verdient oder verdienen kann. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer haben bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung Nachholbedarf.Welche kulturellen Veränderungen im Unternehmen sind notwendig, um die digitale Transformation nachhaltig zu gestalten?Es geht um Menschen, die Veränderungen betreffen Menschen. Deshalb müssen die Verführungsverantwortlichen und die Mitarbeitenden wissen, wozu welche Änderungen gut sind. Nur so sind allesie motiviert, sich auf die Reise zu begeben. Weiter braucht es eine Lernkultur und die Bereitschaft, Fehler zu akzeptieren, denn durch Fehler lernt man. Weiter braucht es flache Hierarchien und die Bereitschaft der oberen Etagen, Kritik von unten entgegenzunehmen.Die Digitalisierung ist ein typisches Change-Management-Thema, das nicht nur technologische Veränderungen umfasst, sondern auch einen kulturellen Wandel erfordert. Wie können Führungskräfte dazu bewegt werden, sich aktiv am Wandel zu beteiligen und das Bauen neu zu denken?Indem sich die Führungskräfte die Frage «what if?» statt «what when» stellen. Sie sollen proaktiv sein, bereit, in ein Risiko zu gehen. Weil sie für die Geschäftsmodelle verantwortlich sind, sind Führungskräfte häufig grosse Blocker zurückhalten gegenüber von Veränderungen. Es braucht aber Visionen und Strategien, die man definiert und mittels denen man auf sich verändernde Ziele schnell zu reagieren vermag. Wichtig ist es auch, das Wissen der Mitarbeitenden abzuholen.Mit Lean Construction und Lean Logistic bekommt das Bauen neue Abläufe und Prozesse. Das kann zu Verunsicherung führen. Im Bau kommt es häufig zu Konflikten. Was braucht es, damit diese nicht eskalieren?Es braucht endlich ein Produktionsverständnis in unserer Branche! Dazu muss man definieren, was man braucht, in welche Abhängigkeiten man sich begibt und was die kritischen Mengen sind, die man kontrollieren kann, indem man etwas wegnimmt oder zugibt. Gerade auf Planerseite harzt es, viele verdienen ihr Geld damit, dass sie Stunden für ihre geistige Arbeit verrechnen und nicht Produkte verkaufen. Bei diesem notwendigen Wandel können neue Technologien helfen, die Szenarien vorher zu betrachten, was die Risiken minimiert. Im Infrastrukturbau gibt es eine gewisse Produktionskultur, im Hochbau nicht. Ein weiteres Problem ist, dass es wenige standardisierte Produkte gibtDie Akzeptanz einen Produktionsprozess als Teil einer Projektentwicklung und einer Umsetzung zu verstehen, ist noch nicht genug .verbrietet. Jeder will selbst etwas erfinden und machen, das erschwert das Planen, Bauen und wirkt sich bis in den Betreib, den Rückbau oder Wiederverwendung. Wichtig erscheint mir der Sharing-Gedanke, also Wissen zu teilen, sich auszutauschen. Das bringt die ganze Branche weiter. Ich handhabe das so und kann sagen, dass ich davon profitiere.Wie sieht die Zukunft des Bauens aus?Ich besitze natürlich keine Kristallkugel und ich denke, dass das heutige Bauen bleiben wird aber sich die Prozesse und unser Berufsbilder mit ihren Leistungen verändern. Dabei werden aber auch neue Technologien zu Veränderungen führen, auch zu neuen Produkten. Bauen mit allen Anforderungen an Qualität, Rentabilität aber auch Kreislauffähigkeit als industrialisiertes Produkt wird zunehmen. Wieso soll ein Prozess, welcher zu einem guten Projekt, oder eben Produkt führte, nicht wiederholt werden dürfen? Unternehmer werden sich immer häufiger die Frage «what if» stellen müssen, um auf einen sich wandelnden Markt reagieren zu können. Über den Autor Susanna Vanek [email protected] Artikel teilen