«Externe Konkurrenz wird nicht gern gesehen»

Doris Kälin, Präsidentin Baumeisterverband Schwyz und Gian Nauli, Geschäftsführer Baumeisterverband Thurgau, über die Herausforderungen, Besonderheiten und Chancen beim Bauen auf dem Land und in der Stadt.

 

Wo liegen beim Bauen auf dem Land im Vergleich zur Stadt die markanten Unterschiede?

Kälin: Ein grosser Unterschied ist sicher der vorhandene Platz. Auf dem Land existiert mehr freie Fläche zum Bebauen als in der Stadt. Dort sind auch die Vorschriften, was Gebäudehöhe und -dichte betrifft, deutlich strenger. Ein weiterer Unterschied: Auf dem Land laufen Bauprozesse in der Regel unkomplizierter ab.

Nauli: Ich höre von unseren Mitgliedern öfters, das Bauen in der Stadt komplizierter ist als auf dem Land. Vielfach sind Bauprojekte aufwendiger und komplexer zu realisieren als solche in ländlicher Umgebung, nehmen wir als Beispiel den Circle am Flughafen Zürich. Hingegen schätze ich auf dem Land, wie rasch und unkompliziert man auf einer Baustelle die Verantwortlichen erreicht. Die Kommunikationswege sind kürzer im Vergleich zur Stadt, wo es nicht selten drei bis vier Telefone notwendig sind, bis man die zuständigen Personen erreicht.

Wie präsentiert sich die Situation bei den Mitarbeitenden? Finden Sie genügend Lehrlinge?

Nauli: Egal ob Stadt oder Land: Es herrscht überall ein Kampf um Lernende. Was mir auffällt: Lehrlinge mit guten Noten kommen oft aus eher abgelegenen ländlichen Gebieten. Vielleicht weil sie mehr handwerkliches Geschick haben, mit einem Hammer umgehen können und auch schon bei Bauern ausgeholfen haben.

Kälin: Die Lehrlingssuche ist nicht einfach, aber in der Stadt wohl deutlich schwieriger, weil junge Leute dort eher eine kaufmännische Richtung einschlagen oder mit einem Studium an einer Universität beginnen.

Locken in der Stadt Firmen mit höheren Löhnen, wenn die Lehre auf dem Land beendet ist?

Kälin: Nein. Die meisten jungen Bauberufsleute bleiben auf dem Land, nachdem sie ihre Lehre abgeschlossen haben. Nur schon der täglich weite Arbeitsweg, das Pendeln zum Arbeitsplatz hin und wieder nach Hause zurück, schreckt ab.

Nauli: Dem stimme ich zu. Wer seine Ausbildung auf dem Land macht, bleibt in der Regel als Ausgelernter bei seiner Arbeitsstelle auf dem Land.

Was zeichnet das Baugewerbe in den Kantonen SZ/TG aus?

Nauli: Es ist einer der wichtigsten Sektoren im Kanton Thurgau. Die Branche bietet enorm viele Arbeitsplätze bei hohen Löhnen. Unsere Bauunternehmer bilden junge Leute aus und bieten gleichzeitig Arbeitskräften mit niedrigem Qualifikationsniveau wichtige Arbeitsstellen. Zudem ist die regionale Verankerung wichtig, Konkurrenz von ausserhalb des Kantons wird nicht gern gesehen.

Kälin: Die typische Firmengrösse im Kanton Schwyz zählt 20 bis 40 Angestellte, viele sind traditionelle Familienbetriebe seit mehreren Generationen. Die Baumeister kennen sich untereinander und sind im Kanton verwurzelt. Entsprechend engagieren sie auch im Vereinsleben. Wenn auf dem Land ein Fest organisiert werden muss oder ein OK-Präsident gesucht wird, geht das in den meisten Fällen nicht ohne Baumeister.

Welche Dienstleistungen bieten Baumeister auf dem Land vor allem an?

Kälin: Die klassischen Bauunternehmen konzentrieren sich auf Hochbau und Renovationsarbeiten. Viele führen auch Leitungs- und Kanalisationsbau sowie diverse kleinere Tiefbau- und Umgebungsarbeiten aus. Die bauliche Tätigkeit auf dem Land gestaltet sich abwechslungsreich, man kommt laufend in Kontakt mit neuen Bauherrschaften und neuen baulichen Herausforderungen.

Viele Bauprojekte werden durch Einsprachen lange verzögert. Wie präsentiert sich die Lage auf dem Land?

Nauli: Einsprachen sind ein legitimes rechtliches Mittel, aber der gesamte Prozess, bis die Bewilligung vorliegt und mit dem Bau begonnen werden kann, dauert viel zu lange, ist wenig durchschaubar und kompliziert. Es kann doch nicht sein, dass eine Einzelperson ein Bauprojekt mit Einsprachen jahrelang verzögern und damit blockieren kann.

Kälin: Das ist bei uns genauso der Fall. Mühsam. Es gibt keine Baubewilligung ohne Einsprache, daran leiden wir genauso wie die Stadt.

Die Auftragskassen der Landkantone sind oft weniger gut gefüllt als in den Städten. Wie spüren Sie das?

Kälin: Diesbezüglich kann ich nur Positives berichten. Die Auftragskasse ist im Kanton Schwyz gut gefüllt. Wir verzeichnen praktisch überall ein Wachstum, sowohl was den Gesamtumsatz, die Anzahl Beschäftiger wie auch bei den Lehrstellen. Zudem gibt es im Kanton interessante Grossprojekte und projektierte Autobahnanschlüsse und auch beim Hochbau liegt einiges in der Pipeline, sprich Neubau von Verwaltungsgebäuden oder Sanierungen.

Nauli: Im Thurgau ist dies weniger der Fall. Projekte, die nicht dringend sind, werden aus Spargründen eher nach hinten geschoben. Die Konsequenzen spüren unsere Baumeister deutlich, indem ihre Auftragsbücher weniger gut gefüllt sind.

Doris Kälin, Sie haben mit ihrem Mann die Sepp Kälin AG aufgebaut und sind schon viele Jahre in der Baubranche tätig. Wie hat sich diese verändert?

Es ist verblüffend, wie sich das Bauwesen in den vergangenen Jahrzehnten verändert und weiterentwickelt hat. Ein Beispiel kann ich anhand unseres Einfamilienhauses erklären: Bei der Erstellung war es uns damals wichtig, dass wir vom Mauerwerk her ein solides Haus haben. Beim späteren Umbau veränderten sich die Themen. Der Energieverbrauch spielte plötzlich eine wichtige Rolle, Solarzellen wurden auf dem Dach installiert. Aktuelle Neubauten müssen klimagerecht und nachhaltig sein. Verändert hat sich auch die Bauzeit: Heute muss ein Bau viel schneller ablaufen als früher. Der Zeitdruck ist auf den Baustellen extrem geworden. Und wie erwähnt, ohne Jurist an der Seite kann man heute fast nirgendwo mehr bauen, ohne dass es nicht gleich Einsprachen hagelt.

Welche Wünsche für die kommenden Jahre haben Sie für das Bauhauptgewerbe?

Nauli: Ich wünsche mir mehr Rechtssicherheit in Bezug auf Einsprachen, das heisst, klarere, schnellere, einfachere Prozesse müssen künftig möglich sein, denn es gibt zu viel Leerläufe. Anders gesagt: Wenn die Baubewilligung vorliegt, beginnen die Bauarbeiten und es kann nicht noch jemand kommen und erneut Einsprache erheben.

Kälin: Bei Offerten gilt seit Jahren: Wer am günstigen offeriert, bekommt den Auftrag. Hier sollten die Baumeister statt auf den tiefsten Preis wieder mehr auf die Qualität achten. «Günstigster Preis, beste Qualität», dies kann langfristig nicht das Rezept im Bauhauptgewerbe sein.

 

Autor: Werner Schüepp

 

 

 

©SBV/Mario Sülz

 

©SBV/Mario Sülz

Zu den Personen

Doris Kälin leitete den kaufmännischen Bereich sowie das Personalwesen der Sepp Kälin AG in Einsiedeln. 2019 wurde sie als erste Frau schweizweit zur Präsidentin des Baumeisterverbands Schwyz gewählt.

Gian Nauli ist Geschäftsführer des Baumeisterverbands Thurgau.

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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