Gewerkschafterinnen wegen Aufforderung zum Hausfriedensbruch verurteilt

In der Region Basel haben Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft Unia unerlaubterweise Baustellen zu regulären Arbeitszeiten betreten und die Bauarbeiten gestört. Dabei besteht für Gewerkschaften aber kein allgemeines, generelles Recht dafür, eine Baustelle zu betreten. Das belegt ein Strafbefehl der Basler Staatsanwaltschaft. 

 

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf dem Zahnarztstuhl, die Behandlung ist im Gange, als plötzlich die Türe aufgeht und zwei Gewerkschafter laut schreiend mit Megafonen reinplatzen. Sie wollen die medizinische Praxisassistentin auf ihre – in den Augen der Gewerkschaften – schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam machen. «Das gibt es doch nicht!», denken Sie empört. Vor lauter Schreck ist der Zahnarzt zusammengezuckt, mit dem Bohrer in der Hand. Wie leicht hätte da etwas passieren können!

Diese Szene ist zwar frei erfunden, spielt sich aber dennoch regelmässig so oder ähnlich ab. Nicht beim Zahnarzt, sondern auf Baustellen. Und zwar im Bauhauptgewerbe, auch wenn da die höchsten Handwerkerlöhne ausbezahlt werden. Obwohl da der Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutz sehr breit ausgebaut sind. Ausgerechnet da tauchen Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften immer wieder auf, um Mitarbeitende auf den Baustellen zu mobilisieren. Das ist aber, wenn es während der Arbeitszeit geschieht, unzulässig – und es ist gefährlich.

Trotz Gegenverkehr

«Im August haben Gewerkschafter eine unserer Strassenbaustellen betreten und sofort begonnen, mit meinen Angestellten zu diskutieren», erzählt Roland Reich, Geschäftsführer der Hans Reich AG. Dem Vorarbeiter habe dies nicht gepasst. «Die Strasse, auf der wir arbeiteten, hatte Gegenverkehr. Das bedeutet, dass meine Leute aufpassen müssen, dass es nicht zu einem Unfall kommt. Wenn nun aber jemand die Baustelle betritt und Gespräche beginnt, lenkt sie das ab, was fatale Auswirkungen haben kann», erläutert Reich. Der Vorarbeiter war der gleichen Ansicht und bat darum seinen Chef, die beiden Vertreterinnen der Unia wegzuweisen. Diese weigerten sich allerdings zu gehen. Deshalb rief Reich die Polizei. Als diese kam, beschuldigte eine der Frauen Reich, sie auf die Brust geschlagen zu haben. Der Vorarbeiter, der bei der verbalen Auseinandersetzung dabei gewesen war, bestritt vehement, dass sein Chef handgreiflich geworden sei. «Die Falschanschuldigung hat mir sehr zugesetzt», bekennt Reich, der hinzufügt: «Ich bin ein Kleinunternehmer, der arbeiten muss, um die Löhne seiner Angestellten zahlen zu können. Wir können uns Arbeitsunterbrüche nicht leisten. Die Unia-Vertreter können gerne mit meinen Leuten reden, aber ausserhalb der Arbeitszeiten und nicht auf Baustellen mit Betrieb. Das verstösst gegen die Arbeitssicherheit.»

Drohungen ausgesprochen

Reich hat sich in der Vergangenheit mehrfach gegen Schikanen der Unia gewehrt. So hatten im Jahr 2015 drei Unbekannte in Unia-Kleidern seinen Mitarbeitenden gedroht, sie würden, sofern sie die Arbeit nicht niederlegen würden, Baumaschinen und Baucontainer der Hans Reich AG beschädigen und anzünden. Weil Reich diese Drohung ernst nahm, schickte er seine Leute, die sich dem Widerstand der Unia nicht anschliessen wollten, nach Hause. Er reichte aber eine Anzeige ein, auch wenn die Personen, die gedroht hatten, nicht namentlich bekannt waren. Im Februar 2021 hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Nötigung und Aufforderung zum Hausfriedensbruch gegen die beiden Co-Leiterinnen der Basler Unia ausgesprochen. Insgesamt mussten sie je 2115.90 Franken bezahlen.

Allerdings: Der Schaden durch den Arbeitsausfall, der der Hans Reich AG zugefügt wurde, war höher.

Die Hans Reich AG ist ein SQS-zertifizierte Bauunternehmen, das im Tief- und Strassenbau sowie im Kanalbau tätig.

Angeblich geschult

In einem anderen Fall, der dem Schweizerischen Baumeisterverband SBV bekannt ist, betraten drei Gewerkschaftsvertreter eine Baustelle und liessen sich nicht wegweisen, auch nicht, als der Bauführer die Gefahrensituation auf der Baustelle ansprach. Er sei, meinte einer der drei, «in Arbeitssicherheit geschult». Dabei spezifizierte er die Art der Ausbildung aber nicht – ein expliziter Hinweis, auf den Besuch eines regulären Kurses, etwa im Campus Sursee, fehlte. Daher ist die Aussage mit Vorsicht zu geniessen. Dagegen steht fest, dass auf Baustellen einige Gefahren lauern und Unfälle passieren können. Unbefugte haben darum keinen Zutritt, zu ihrem eigenen Schutz.

Keine Ausnahme

Davon sind die Gewerkschaften nicht ausgenommen. Auch für sie besteht kein allgemeines, generelles Recht, eine Baustelle zu betreten. In erster Linie legt der Grundeigentümer fest, wer sein Grundstück betreten darf. Wenn der Bauunternehmer einen Bauauftrag erhält, wird die Baustelle zu «seinem Werkplatz», der ebenfalls geschützt ist. Demnach wird der Bauunternehmer neben dem Grundeigentümer Inhaber des Hausrechts.

Bauablauf gestört

Die dem SBV bekannten Baustellenbesuche der Gewerkschaften störten den Bauablauf, was ebenfalls nicht zulässig ist. Schliesslich müssen Bauunternehmer Termine einhalten. In einem dokumentierten Fall versuchte ein Gewerkschaftsmitglied zudem ganz klar, einen Mitarbeitenden nicht über Arbeitsrechte aufzuklären, sondern für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft zu gewinnen – es ging also nicht um das Wohl der Angestellten im Bau, sondern lediglich darum, neue Mitgliederbeiträge zu generieren.

Gewerkschaften sind aus den erwähnten Gründen dazu verpflichtet, ihre Kontaktaufnahme zeitlich auf Arbeitspausen oder auf den Feierabend zu legen, und zwar ausserhalb der Baustelle. Denn schliesslich sind sie nach wie vor an die Friedenspflicht gebunden – der aktuelle LMV, der vom Bundesrat allgemeinverbindlich erklärt wurde, ist noch bis zum 31. Dezember 2022 in Kraft.

Für Bauunternehmer gilt: Sollten sie auf ihren Baustellen Besuch von Personen erhalten, die als Arbeitnehmervertreter über Arbeitsrechte informieren wollen, so empfiehlt es sich, ruhig zu bleiben – damit vermeidet man eine Eskalation – und höflich nach dem Grund des Besuchs zu fragen. Anschliessend sollen sie, immer noch ruhig, darauf verweisen, dass die Kontaktaufnahme ausserhalb der Arbeitszeiten und der Baustelle erfolgen soll. Zudem empfiehlt sich eine Mitteilung an den SBV.

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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