Hier wird für den Berufsalltag gelernt

Mit dem Masterplan «SBV-Berufsbildung 2030» modernisiert der SBV seine Aus- und Weiterbildungslandschaft. Ein Vorbild könnte das Bildungszentrum Limmattal sein, dass bei der Ausbildung von Logistikern mit digitalen Lernmethoden neue Wege geht. Dank eines interaktiven Lernmanagementsystem mit 360 Grad-Lernwelten erarbeiten die Schülerinnen und Schüler ihren Schulstoff in Selbstverantwortung. Davon profitieren nicht nur die Lernenden selbst, die sich, ganz nebenbei, neue digitale Kompetenzen erarbeiten und sich weiterentwickeln, sondern auch deren Lehrbetriebe.

 

Ein junger Mann sitzt auf einem Palettensofa und blickt konzentriert auf seinen Laptop. Er habe, berichtet Nordin Chabira, 3. Lehrjahr Logistiker, zuerst nachgeschaut, welches die Lernziele des heutigen Lernauftrages seien und was er beherrschen müsse. Danach macht er sich daran, das Thema selbständig zu bearbeiten. Er könnte dies auch zu zweit oder in einer Gruppe tun, meint er. Ob er im Klassenzimmer, im Gang des Schulhauses oder im Lernbereich arbeitet, ist ihm freigestellt. Die Lehrpersonen sind dennoch präsent, wobei sie die Zeit haben, sich individuell um die Lernenden zu kümmern, sie zu unterstützen und zu motivieren. An den Wänden im ganzen Schulhaus sind Zeichen angebracht, die die Schülerinnen und Schüler scannen, um so zu ihren Lernprogrammen zu gelangen. Chabira lobt, dass er dank des neuen Lernsystems viele digitale Kompetenzen erworben hat. «Das nützt mir bei der Arbeit, denn die Digitalisierung macht auch vor unserer Branche nicht Halt, und im Leben», meint er. Im konventionellen Unterricht gebe es immer drei oder vier Schülerinnen, die Mühe mit dem Schulstoff hätten und die deshalb Fragen stellen würden. «Die ganze Klasse ist dann blockiert, kommt nicht weiter. Wenn jeder den Schulstoff individuell bearbeitet, passiert das nicht, es ist effizienter, aber es ist auch so, dass man mehr macht, weil man ja quasi sein eigener Lehrer ist und das einen motiviert.» Weiter gefällt ihm die Transparenz des Systems. «Ich sehe immer, wo ich stehe und wo ich mich verbessern kann. Selbstorientiertes Lernen ermöglicht es einem, die Noten zu verbessern – so man sich dafür einsetzt. Weil man sich mit den anderen Lernenden messen kann, weiss man, wo man steht, woran man noch arbeiten muss. Die Prüfungen sind sehr transparent aufgebaut, man weiss, auf welchen Grundlagen die Benotung basiert. Dass man mit mehr Einsatz mehr erreichen kann, das ist eine sehr interessante Erfahrung.»  Chabira findet, dass er nun «parat für die Zukunft» sei.

Motivation zurückgewinnen

Genau das, meint Claudia Hug, Rektorin des Bildungszentrums Limmattal, sei das Ziel. «Unsere Absolventen sollen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, weil sie gelernt haben, selbständig zu handeln und zu denken.» Dazu müssten die Lernenden Verantwortung für ihr Lernen übernehmen. «Wobei sie dabei anfänglich sehr eng geführt werden.» Natürlich könne es sein, dass eine Schülerin oder ein Schüler mal ein Eckchen in der Schule findet, in dem er unbeobachtet zum Beispiel in die Sozialen Medien abtauchen kann. «Die Gefahr der Ablenkung ist da, wir haben sie mit den Schülerinnen und Schülern besprochen», so Hug. Die Lernenden würden aber schnell merken, dass sie sich selber schaden, wenn sie statt zu arbeiten im Internet surfen. «Sie sehen ja, was sie erreichen müssen, um eine genügende oder gute Note zu schreiben», meint Hug. Die Schule hat sich bewusst dagegen entschieden, im Schulgebäude die Sozialen Medien zu sperren. Die Lernenden müssen schliesslich lernen, Versuchungen zu widerstehen. Das benötigen sie auch bei der Arbeit.»

Pädagogisches Konzept

Das Bildungszentrum Limmattal nennt seine neue Lernmethode «n47e8», was die Koordinaten von Dietikon sind. Die Grundidee dahinter ist das pädagogische Konzept mit Handlungskompetenz, das für den Bund bei der «Berufsbildung 2030» im Vordergrund steht. «Die Lernenden werden mit Situationen aus ihrem Arbeitsalltag konfrontiert, die sie bewältigen müssen», sagt Hug, «für uns ist der starke Bezug zur Praxis wichtig. Gleichzeitig haben Soft Skills ein stärkeres Gewicht. Die Schülerinnen und Schüler werden nicht nur selbständiger und selbstverantwortlicher, sie helfen einander auch vermehrt. Auch davon profitieren die Lernfirmen.» Das Bildungszentrum Limmattal hat vor der Einführung von «n47e8» die Lehrbetriebe sehr genau über das Projekt informiert. «An der Ausbildung im Betrieb hat sich aber nichts geändert», betont die Rektorin. Spezielle Computerkenntnisse benötigen die Schülerinnen und Schüler nicht, um mit dem Lernsystemmanagement arbeiten zu können.

Wichtig ist für Hug, dass die Lernenden alle auf der jeweiligen Stufe, auf der sie sich befinden, abgeholt werden. Entdeckt ein Klassenlehrer, dass ein Schüler oder eine Schülerin grössere Mühen mit dem Stoff bekundet, kann er eine zusätzliche Hilfe anfordern, der mit dem Betreffenden während drei oder vier Wochen arbeitet und ihm hilft, die Lücken zu schliessen. Lernende mit ungenügenden Deutschkenntnissen werden sprachlich gefördert.

Hug betont, dass das System aber auch die guten Schülerinnen und Schüler fördern soll.

Unterschiedlich weit

Denise Merz ist im Bildungszentrum die Projektleiterin, die «n47e8» entwickelt hat. «Wenn die Lernenden aus der Volksschule zu uns kommen, sind sie auf sehr unterschiedlichen Wissensständen. Das macht es schwierig, Klassen einheitlich zu unterrichten», erzählt sie. «Den Klassenverbund gibt es noch, aber die Schülerinnen und Schüler lernen individuell, jeder und jede gemäss dem eigenen Tempo.» Im Fokus stehe es nicht, etwas auswendig zu lernen, sondern das Entwickeln von Kompetenzen. «Das vermittelte Wissen soll im Berufsalltag anwendbar sein», sagt sie. Zentral sei die Möglichkeit, sich den eigenen Erfolg selbst erarbeiten zu können. «Bei uns lernen die angehenden Logistikerinnen und Logistiker, dass man sich selbst verbessern kann, wenn man daran arbeitet.» Das zusätzliche Erwerben von digitalen Kompetenzen stärke die Position der Lernenden nach dem QV auf dem Arbeitsmarkt.

Sowohl Hug als auch Merz sind überzeugt, dass selbstverantwortliches Lernen auch für Maurerlernende sehr gut geeignet wäre. Merz meint: «Auch da gibt es Klassen mit sehr unterschiedlichen Schülerinnen und Schülern, die einen haben einen Migrationsunterricht, andere sind eher lernschwache Schüler, andere wiederum das Gegenteil, sie wollen Karriere machen. Sie alle können mit unserem System individuell gefördert werden.»

Maurerlernende haben ein etwas anspruchsvolleres Anforderungsprofil als Logistiker – daher sollten sie das selbstorientierte Lernen ebenso gut zu bewältigen imstande sein wie diese.

Hier ein Film zu «n47e8».

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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