«Ich verdiene gleich viel wie ein Mann»

Neun Jahre lang arbeitete Iris Harnisch als Coiffeuse, im Oktober 2004 wechselte sie auf den Bau. Derzeit hat sie den Überblick über die grösste Aargauer Baustelle.

Der Aufstieg ist steil: 146 Tritte steigt die Kranführerin Iris Harnisch morgens bis zu ihrem Arbeitsplatz hoch. «Wenn ich oben bin», gesteht sie, «dann geniesse ich einen Moment den Ausblick. Manchmal mache ich mit dem Handy auch Fotos, zum Beispiel vom Sonnenaufgang. Ich habe den schönsten Arbeitsplatz, den es gibt.» Klarer Fall, der Frau mit den gepflegten Händen gefällt es auf dem Bau. Dementsprechend erstaunt es nicht, mit welch grosser Begeisterung Harnisch über ihre Aufgabe als Kranführerin berichtet. «Der Kranführer oder die Kranführerin sind das Herz einer Baustelle, um sie herum dreht sich alles», sagt sie. Sie arbeite eng mit dem Polier zusammen, das sei eine sehr interessante Aufgabe. Nicht zuletzt, weil ihre Arbeitgeberin Implenia sie vielfach auf grösseren und anspruchsvolleren Baustellen einsetze. Aktuell ist Harnisch dabei, das Kantonsspital Baden AG neu zu erstellen. Es handelt sich um die grösste Baustelle des Kantons Aargau. «Ich habe noch nie an einem Spital gebaut», erzählt Harnisch um zu bekennen, dass sie es auch nach 16 Jahren noch faszinierend finde, an Bauwerken, an deren Realisierung sie mitgewirkt hat, vorbeizukommen. «Das ist jedes Mal ein wunderbares Gefühl, weil man weiss, dass man daran mitgebaut hat. Man sieht den Sinn der eigenen Arbeit. Das ist sehr befriedigend.» Ein weiterer Aspekt, der für Harnisch Bauberufe für Frauen attraktiv macht: «Ich verdiene genau gleich viel wie meine männlichen Arbeitskollegen. Das ist ein gutes Gefühl. In anderen Branchen werden Frauen benachteiligt, im Bauhauptgewerbe nicht.» Sie betont zudem, dass Implenia ein sehr guter Arbeitgeber ist.

 

Vom Coiffeursalon auf den Bau

Obwohl ihr die Tätigkeit auf der Baustelle so zusagt, war sie nicht ihre erste Wahl. «Zwar bin ich auf einem Bauernhof aufgewachsen, war also körperliche Arbeit draussen gewohnt, aber trotzdem wählte ich anfänglich einen typischen Frauenberuf: Coiffeuse», so Harnisch. Es war nicht so, dass es ihr nicht gefallen habe, Menschen zu frisieren, erklärt sie. «Ich bekam sogar die Chance, den Betrieb zu übernehmen. Aber das wollte ich dann nicht, denn ich habe sehr viele Hobbys, die ich pflege. Das geht zeitlich nicht, wenn man ein eigenes Geschäft führt.» Die Feuerwehr, der Turnverein, Unihockey, Volleyball, Reiten, der Trabrennsport und die Schützengesellschaft beschäftigen sie in der Freizeit. Harnisch trainiert zudem, um Halbmarathons oder Gigathlons bestreiten zu können. Wie weiter? Harnisch entschied sich, etwas Neues zu versuchen und sah sich um. Dabei begann sie mit einer Tätigkeit als Kranführerin zu liebäugeln. «Ich wollte zuerst ganz genau wissen, wie es ist, oben auf einem Kran zu sitzen und begleitete Kranmonteure, weil man von ihnen sehr viel über Krane erfährt.» Was sie erlebte, gefiel ihr und sie absolvierte die Ausbildung als Kranführerin. «Sehr viele in meinem Umfeld konnten meinen Berufswechsel nicht verstehen, sie meinten, dazu sei ich doch zu zierlich. Meine Gotte sagte mir aber: Doch, das passt besser zu dir», erzählt die blonde Frau und lacht. Ihr Partner ist Teamleiter bei der Post und selbst auch viel draussen unterwegs. Die eine Schwester ist Krankenschwester, zwei Brüder sind Mechaniker. Harnisch hat als einzige einen ganz eigenen Weg gewagt.

 

Nicht schwindelfrei

Muss man als Kranführerin besonders mutig sein? Harnisch winkt ab: «Nein, ich selbst bin nicht einmal gänzlich schwindelfrei. In der Krankabine fühle ich mich aber sicher und kann die Höhe geniessen», meint sie. Von den Kollegen fühlt sie sich gut aufgenommen, auch wenn sie als Frau auf dem Bau eher eine Exotin ist. «Man merkt es, dass es den Teams guttut, wenn eine Frau dabei ist. Die Leute gehen dann respektvoller miteinander um», hat sie beobachtet.

Einsam fühlt sie sich übrigens nicht, auch wenn sie oben allein in der Kabine sitzt. «Ich habe ja den Funk und stehe immer mit den anderen in Kontakt», erklärt sie. Hat sie einen Lieblingskranen? «Am besten gelingt mir das Abschätzen von Distanzen bei mittelhohen Kranen von 43,5 Meter», sagt sie, «es ist halt eine Übungssache. Wenn man selten einen der ganz hohen Krane fährt, dann ist man bei der Bedienung eben weniger routiniert.»

 

Susanna Vanek

 

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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