Leadership in Sicherheit: der Weg zu einer positiven Sicherheitskultur

Darauf zu achten, dass nach dem Arbeitstag alle gesund nach Hause kommen, ist keine Option, sondern eine gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber. Manche gehen aber noch weiter. Zum Beispiel Strabag in Schlieren (ZH).

 

Der letzte Unfall? «Ein Mitarbeiter mit 25 Jahren Erfahrung hat sich gestern an einem Finger verletzt», antwortet Fikri Kosumi, Landesbeauftragter «Health Safety Wellbeing» bei Strabag. Zwar ist die Zahl der Unfälle im Baugewerbe seit den 1990er-Jahren dank Gesetzgebung, Prävention und Ausbildung nach und nach gesunken, doch «werden wir das Risiko nie auf null reduzieren können», fährt Kosumi weiter. «Unser Ziel ist die Schaffung einer nachhaltigen Sicherheitskultur, der Übergang von ‹ich muss› zu ‹ich will›. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass ein junger Mitarbeiter seinem Vorgesetzten – auch wenn er älter ist – oder einer Kollegin sagen kann, er oder sie soll die Schutzbrille aufsetzen oder ein Werkzeug nicht herumliegen lassen.»

Um dieses Ziel zu erreichen, geht Strabag über die gesetzlichen Vorschriften und Empfehlungen hinaus. Zum Beispiel besuchen alle Lernenden zu Beginn ihrer Ausbildung und noch vor der Behandlung in der Berufsschule eine zweitätige Schulung über die Grundregeln. Seit 2012 veranstaltet das Unternehmen zudem einmal jährlich einen obligatorischen «Tag der Sicherheit», an dem anhand verkleinerter Modelle Situationen präsentiert werden. «Die Fälle muss man veranschaulichen, nicht mit langem Gerede erklären», fährt Fikri Kosumi fort. «Auch auf der Baustelle verständigt man sich mit Gesten.»

Des Weiteren ermutigt Strabag, Zwischenfälle und Beinaheunfälle zu melden, ohne dass dies negative Folgen für die Personen hat, die Meldung erstatten. «Wir arbeiten gerade an einer App, um das Verfahren zu vereinfachen», präzisiert Fikri Kosumi. Diese Kultur des Lernens aus Fehlern kennen Flugpiloten seit Langem.

Überall Informationen

Auf einer Baustelle in der Nähe des Hauptsitzes von Strabag in Schlieren zeigt Baupolier Nebojša Injac die Informationstafel, die alle 20 Meter an der Abschrankung angebracht ist. «Wir informieren viel umfassender als die üblichen Schilder», erklärt er. Natürlich gibt es Verbote, aber auch Hinweise auf Gefahren – Ausrutschen zum Beispiel – sowie Ausrüstungen, die zwingend getragen werden müssen. Auf dieser Baustelle sind die drei Krane zudem mit Absperrsystemen ausgestattet, die verhindern, dass Wagemutige in der Dunkelheit hinaufklettern.

Zur Anzeige der seitlichen Ausladung wird eine grüne Linie auf den Boden gesprayt. «Sie verdeutlicht, bis zu welcher Entfernung auf den Kran zu achten ist, zeigt aber auch gut sichtbar einen Fluchtweg für Notfälle an», betont Nebojša Injac. Bretter mit Querelementen, die das Abrutschen verhindern, ermöglichen eine problemlose Fortbewegung zwischen verschiedenen Ebenen. «So muss man nicht springen, auch wenn der Höhenunterschied nur einen Meter beträgt, denn es besteht immer ein Risiko», fügt Fikri Kosumi an.

Der Kranführer Ivan Bugarin und der Facharbeiter Francisco José Ribeiro Antunes machen gerade Pause in einem Raum voller Kalender zum Thema Sicherheit («Bertl, Helm auf ̶ wir brauchen dich im Tor am Samstag!» steht zum Beispiel auf einem schönen Foto von zwei Kollegen, die offensichtlich auch zusammen Sport treiben). Es liegen aber auch Merkblätter in verschiedenen Sprachen auf, die erklären, warum man Handschuhe tragen … oder Sonnencreme auftragen soll. «Auf diesem Gebiet haben wir Pionierarbeit geleistet», stellt Fikri Kosumi stolz fest. «Ab 2017 haben wir zur Verwendung von Sonnencreme, zum Nackenschutz und zur Notwendigkeit, drei Liter Wasser pro Tag zu trinken, neue Regeln erarbeitet.»

An diesem Septembertag muss man sich allerdings nicht vor der Hitze, sondern vor dem kalten Dauerregen schützen. «Unsere Ausrüstung hat nichts mehr gemeinsam mit dem, was wir vor 20 oder 30 Jahren hatten», erklärt Ivan Bugarin. «Schauen Sie, diese Hose zum Beispiel schützt selbst bei grosser Kälte. Und die reflektierenden Streifen lösen sich nicht mehr ab wie beim Vorgängermodell. Teilweise besteht sie aus Stretchgewebe, das sie angenehmer und solider macht.» STRABAG ersetzt bei Bedarf unbegrenzt alle Elemente der persönlichen Schutzausrüstung (PSA), was Ivan Bugarin und Francisco José Ribeiro Antunes begrüssen.

Aber Sicherheitskultur bedeutet nicht nur, Leitern zu verbessern, den Komfort und die Funktionalität der Kleidung zu erhöhen oder den Zugang zu Kranen zu verhindern. Dabei geht es auch um ein Bündel von Massnahmen, die den Alltag und die Gesundheit der Mitarbeitenden verbessern sollen. So besucht ein Gesundheitsbus regelmässig die verschiedenen Standorte des Unternehmens, damit man auf Wunsch die Rückenmuskelmasse, den Cholesterinspiegel oder den Blutdruck kontrollieren kann, ohne dass Daten gespeichert werden. Ausserdem gibt es zweimal im Monat zehnminütige «bewegte Pausen», in denen online ein Gymnastikprogramm absolviert werden kann.

«Über Sicherheit müssen wir offen sprechen», erklärt Fikri Kosumi. «Der Faktor Mensch ist nach wie vor am schwierigsten zu beherrschen. Es reicht bereits, wenn man eine Sekunde lang an etwas anderes denkt… Deshalb sind Transparenz und Offenheit so wichtig.»

 

Autorin: Ariane Gigon

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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