Mehr Wohnungsbau: Bund, Kantone und Gemeinden sind gefordert In den kantonalen und kommunalen Richtplänen sowie den Bau- und Zonenordnungen muss dringend eine Interessenabwägung für eine sinnvolle Siedlungsentwicklung nach innen stattfinden, fordert die Baujuristin und Raumplanungsexpertin Miriam Lüdi. Montag, 19.8.2024 | 06:00 ... Schweizerischer Baumeisterverband Politik & Medien Agenda 125.0 Modernisierung Mehr Wohnungsbau: Bund, Kantone und Gemeinden sind gefordert In den kantonalen und kommunalen Richtplänen sowie den Bau- und Zonenordnungen muss dringend eine Interessenabwägung für eine sinnvolle Siedlungsentwicklung nach innen stattfinden. Dies fordert die Baujuristin und Raumplanungsexpertin Miriam Lüdi: «Die Interessensabwägung zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekten muss hier stattfinden, und nicht erst bei den einzelnen Bauprojekten». Dann haben Einsprachen weniger Chancen und es kann raschergebaut werden. Zudem muss in der Raumplanung ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeitsplätzen und Wohnraum ermöglicht werden, damit Verdichtungen tatsächlich einen Beitrag an die Eindämmung der Zersiedelung leisten können.Die Raumplanung gehört zu jenen Aufgaben, die in unserem Land fast exemplarisch föderalistisch gelöst werden. Der Bund legt die Rahmenbedingungen fest, die Kantone konkretisieren, die Gemeinden arbeiten die Planung weiter aus und setzen sie um. In den Städten, wo verdichtet werde müsste, ist genügend Fachwissen vorhanden. Weshalb wird dann so wenig verdichtet? Weil sich die strategischen kantonalen Planungsgrundlagen zu wenig oder gar nicht mit der idealen Einwohnerdichte im Verhältnis zur Zahl der Arbeitsplätze auseinandersetzen und die notwendigen Interessensabwägungen nicht vornehmen. Aus den statistischen Grundlagen wissen wir, dass in der Schweiz pro zwei Einwohner ein Arbeitsplatz (in Vollzeitäquivalenten) vorhanden ist und dieses Verhältnis auch in den Städten gefördert werden sollte.Ein Beispiel, wie es nicht gemacht werden sollte, ist Wallisellen. Man lässt dort in der Zentrumszone im Verhältnis zur Gewerbefläche nur 50 Prozent Wohnanteil zu. Das heisst es werden auf zwei Vollzeitstellen Wohnraum für nur eine Person zugelassen. Wo sollen denn all die Leute wohnen, die in Wallisellen arbeiten oder als angehörige Kinder, pensionierte Personen oder teilzeiterwerbstätige Personen ebenfalls in Wallisellen wohnen möchten? Notgedrungen ausserhalb, vielleicht sogar ausserkantonal. Das führt unweigerlich zu Mehrverkehr. Das Problem ist, dass zwar ein Gestaltungsplan vorliegt und vom Kanton genehmigt wird, dass aber niemand genau hingeschaut und nachgerechnet hat, was ein derart unausgewogenes Verhältnis zwischen Einwohnern und Beschäftigten zur Folge hat. Letztendlich fehlt im kantonalen Richtplan eine Analyse zur Wohnraumdichte .Hat jetzt die Gemeinde Wallisellen oder hat der Kanton die Hausaufgabe nicht gemacht?Wenn der Kanton seine Verantwortung wahrnehmen würde, dann würde er sich mit der Wohnraumdichte auseinandersetzen und könnte den Gemeinden aufzeigen, wie viel Wohnraum sie haben sollten. Dabei könnte der Kanton die Wohnraumdichte auch gesamthaft steuern, so dass die Leute dort wohnen könnten, wo sie es wünschen – häufig in der Nähe des Arbeitsplatzes. Der Kanton Zürich lässt den Gemeinden aber in der Frage der Wohnraumdichte freie Wahl. Die Gemeinde ihrerseits sorgt auch nicht für genügend Wohnraum. Dabei profitieren die Gemeinden, wenn die Leute dort wohnen, wo sie arbeiten. Sie kaufen dann auch vor Ort ein oder gehen abends ins Restaurant. Das stärkt das lokale Gewerbe. Zudem haben Firmen ihre Standorte gerne in lebendigen Quartieren. Wenn man also ein attraktiver Arbeitsstandort werden will, dann muss es in Gehdistanz genügend Wohnraum haben. Die Gemeinde hätte also einen guten Grund, sich mit der Wohnraumdichte auseinanderzusetzen. Sie tut es aber nicht.Welche Verantwortung trägt der Bund?Kantonale Richtpläne werden vom Bund genehmigt. Dabei nimmt das Bundesamt für Raumplanung ARE seine Aufgabe aber zu wenig wahr und beanstandet nicht, wenn ein Richtplan wie der des Kantons Zürich sich nicht mit der Wohnraumdichte auseinandersetzt und diesbezüglich keine Interessensabwägung stattgefunden hat. Die Gemeinden brauchen aber strategische Vorgaben, die auf Analysen und Daten beruhen. Der Kanton müsste aufzeigen, wo Wohnraum und Arbeitsplätzeeiner nachhaltigen Raumentwicklung beitragen. Die Kantone Bern und Aargau haben zwar Dichten im kantonalen Richtplan definiert, aber zu tiefe und zudem wird nicht zwischen Arbeitsplatz- und Einwohnerdichte unterschieden.Was den Wohnungsbau behindert, sind Einsprachen, die das Bewilligungsverfahren verlängern. Was kann unternommen werden, damit auf der Baubewilligungsebene eine Rechtssicherheit herrscht?Erstens muss die Interessensabwägung von der städtischen beziehungsweise kommunalen Raumplanung wahrgenommen werden und darf nicht auf das einzelne Bauprojekt abgewälzt werden. Diese Interessenabwägung in der Raumplanung wird von den Gemeinden heute mangelhaft vorgenommen, weshalb der Prozesserfolg für Einsprechende sehr hoch ist – und damit die Motivation, Einsprachen zu machen. Zweitens könnte das Postulat von Ständerat Andreas Caroni Abhilfe schaffen. Dieses sieht vor, dass Personen, die Einsprache gegen ein Bauprojekt erheben, nur noch solche Rechtsverletzungen geltend machen dürfen, die sie persönlich betreffen. Sie sollen nicht mehr, wie es seit einem Bundesgerichtsentscheid von 2011 möglich ist, jede mögliche Beschwerde vorbringen können, die ihnen in irgendeiner Weise nützen könnte, insbesondere um den Bau zu verhindern, auch wenn die bemängelte Rechtsverletzung sie selbst gar nicht betrifft.2023 haben Sie zusammen mit Sibylle Wälty Resilientsy gegründet, um ihre Vision von einer zukunftsorientierten Raum- und Immobilienentwicklung Wirklichkeit werden zu lassen. Wälty hat den Begriff der 10-Minuten-Nachbarschaft entwickelt. Worum geht es da?Es bedeutet, dass man alle wichtigen Besorgungen des Alltags zu Fuss in zehn Minuten erreichen kann. Natürlich geht es nicht darum, dass man in zehn Minuten am Arbeitsplatz sein muss – die Leute sind frei, dort zu wohnen und dort zu arbeiten, wo sie möchten. Es geht aber darum, diese Möglichkeit zu schaffen. Wer urban leben möchte, sollte dies auch tun können, und es sollte ausreichend Wohnraum in entsprechenden Mengen gebaut werden dürfen. Untersuchungen zeigen, dass die Leute in einer 10-Minuten-Nachbarschaft häufiger zu Fuss unterwegs sind. Das reduziert den Autoverkehr. Wenn die Entscheider kantonaler Richtpläne das Potential von Gemeinden, 10-Minuten-Quartiere zu entwickeln, erkennen und fördern, dann reduziert das den Verkehr. Das Aufzeigen eines solchen Potentials wäre kein Eingriff in die Gemeindeautonomie, sondern eine wertvolle Unterstützung. Auch Grundeigentümer können für ihre Parzellen das Dichtepotenzial im Sinne des Konzepts der 10-Minuten-Nachbarschaft einfordern. Dies stellt sicher, dass in der Raumplanung eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen wird und erhöht die Rechtssicherheit für zukünftige Bauprojekte.Es braucht eine gewisse Grösse, um die 10-Minuten-Nachbarschaft zu entwickeln, oder?Ja, zentrale Standorte in kleinen und grösseren Städten eigenen sich für die Entwicklung von 10-Minuten-Nachbarschaften. Sie entstehen, wenn auf einem Radius von 500 Metern mindestens 10 000 Personen wohnen und idealerweise 5000 Arbeitsplätze vorhanden sind. Ein gutes Beispielist der Idaplatz in Zürich oder der Breitenrain in Bern. Aber auch die Kleinstadt Vevey hat beim Bahnhof bereits eine 10-Minuten-Nachbarschaft etabliert. Versierte Fachfrau Die Baujuristin und Dozentin Dr. iur. Miriam Lüdi hat sich einen Namen als Expertin zur Raumplanung gemacht. Sie ist Mitgründerin von Resilientsy, einem Unternehmen, das Lösungen für eine zukunftsorientierte Raumplanung sucht. Über den Autor Susanna Vanek Redaktorin [email protected] Artikel teilen
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