Nachtragsmanagement – Achtung vor falschen Versprechen

Nachträge werden zuweilen als Instrument angesehen, um Verluste aus zu knapp kalkulierten Projekten wettzumachen. In Wahrheit besteht darauf regelmässig kein Anspruch. Worum geht es also wirklich im Nachtragsmanagement?

 

Der Begriff «Nachtrag» ist in der SIA-Norm 118 nicht definiert. Im Allgemeinen wird darunter eine Einigung über Mehrvergütungs- und Terminerstreckungsansprüche verstanden, die nach Vertragsschluss eintreten. Für die Verbesserung von zu tief offerierten Projekten sind diese Kriterien regelmässig nicht erfüllt, denn:

  • eine zu tief angesetzte Vergütung ist Bestandteil des Vertrags, sie ist damit verbindlich festgelegt; und
  • in der Regel hat der Unternehmer keinen Anspruch darauf, dass ein nachteiliges Preis-/Leistungsverhältnis nachträglich korrigiert wird.

Ohne Anspruch kann aber der Unternehmer seinen Nachtrag nicht begründen. Stellt er dennoch Nachtragsforderungen, führt dies verständlicherweise rasch zu einer Verhärtung der Fronten und zu Streitfällen. Schlimmer noch: Werden haltlose und irreführende Nachtragsforderungen gezielt eingesetzt, um sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, kann es sich bei gegebenen Voraussetzungen um einen strafbaren Betrug handeln (Art. 146 StGB).

Nachtrag als Einigung

Wenn Nachträge also nicht dazu taugen, um schlechte Verträge nachzubessern, wozu dienen sie dann?

Der klassische Fall für einen Nachtrag ist die Bestellungsänderung. Bei vereinbarter SIA-Norm 118 ist der Bauherr berechtigt, die bestellte Leistung auch nach Vertragsabschluss zu ändern. Im Gegenzug hat der Unternehmer Anspruch auf Ersatz der damit verbundenen Mehrkosten und auf eine angemessene Terminerstreckung. Die Anspruchsgrundlage dafür bildet Art. 84 ff. SIA-Norm 118.

Mit dem Ausdruck Anspruch ist gemeint, dass der Unternehmer die Mehrvergütung und die Terminerstreckung notfalls vor Gericht durchsetzen kann. Natürlich ist das weder die Aufgabe noch das Ziel des Nachtragsmanagements. Der Gedanke ist vielmehr folgender: Wenn der Anspruch schon einmal besteht, dann können sich die Parteien ebenso gut gleich selbst darüber einigen.

Dazu erstellt der Unternehmer in der Regel eine Nachtragsofferte. Der Nachtrag kommt zustande, sobald der Bauherr diese akzeptiert. Im Idealfall sorgen beide Parteien dafür, dass nachträglich vom Bauherrn oder seinen Vertretern eingetretene Kosten- und Terminanpassungen regelmässig in Form von Nachträgen festgehalten und bereinigt werden. So verstanden ist das Nachtragsmanagement per Definition auf partnerschaftliches Handeln ausgerichtet und ist ausgesprochen effizient.

Wie bereits festgestellt setzt dies zuerst einen Anspruch voraus. Denn hat der Unternehmer keinen Anspruch, z.B. weil er für bestimmte Ereignisse das Kosten- und Terminrisiko selbst trägt oder weil er einen vorhandenen Anspruch durch Untätigkeit hat untergehen lassen, dann braucht es auch keinen Nachtrag.

Im Nachtragsmanagement sind also stets zwei Phasen zu unterscheiden:

  • Identifizieren und Wahrung von Ansprüchen, die nach Vertragsabschluss entstanden sind; und
  • gemeinsame Bereinigung der Ansprüche in Form von Nachträgen zum Werkvertrag.
Herausforderungen für das Bauteam

Es liegt in der Verantwortung des Bauteams, Ereignisse auf der Baustelle zu erkennen, die einen zu Mehrkosten- oder Terminerstreckung führen. Anschliessend hat es sicherzustellen, dass diese explizit als Anspruch erkannt und bearbeitet wird, so dass eine spätere Wahrung der Rechte auch gewahrt wird.

Diese Herausforderung wird in der Praxis oft unterschätzt. Denn um Ansprüche wahren zu können, ist ein gutes Verständnis des Vertrags und der SIA-Norm 118 vorausgesetzt. Die erforderlichen Massnahmen müssen rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form getroffen werden. Das geschieht vor Ort, weshalb sie nur schlecht delegiert oder von Experten nachgeholt werden können. So sind z.B. Nachträge aus «Bauablaufstörungen» häufig ein Zeichen dafür, dass Ansprüche während der Bauzeit unzureichend erkannt wurden und nachträglich begründet werden sollen. Die Durchsetzungschancen stehen entsprechend schlecht.

Um Ansprüche zu wahren, ist also ein methodisches Vorgehen des Bauteams gefragt. Dabei kann sich der Baupraktiker an der vom Autor entwickelten APB-Methode orientieren. Das Abkürzung «APB» steht für Anspruchsgrundlage, Prozedere und Beweis und damit für ein einfaches Prüfungsschema, das befolgt werden kann. Dies geht wie folgt:

1. Anspruchsgrundlage identifizieren

In der Schweiz existiert keine Regel, wonach Mehrkosten und Bauverzögerungen generell vom Bauherrn zu tragen wären. Deshalb geht es in der APB-Methode als erstes darum, die Ereignisse auf der Baustelle zu identifizieren, die einen Anspruch auf eine Mehrvergütung oder Terminverschiebung des Unternehmers begründen. Dazu gehören z.B. die erwähnten Bestellungsänderungen nach Art. 84 ff. SIA-Norm 118, das Säumnis des Bauherrn nach Art. 94 Abs. 2 SIA-Norm 118 oder Baubeschleunigungsmassnahmen nach Art. 95 f. SIA-Norm 118.

2. Prozedere wahren

Manche Anspruchsgrundlagen kommen nur zur Anwendung, wenn der Unternehmer den Bauherrn rechtzeitigt auf fehlerhafte Pläne oder Probleme in der Bauausführung aufmerksam macht. Andere hängen von Genehmigungen oder bestimmten Formvorschriften ab. Sobald die Anspruchsgrundlage identifiziert ist, geht es im zweiten Schritt darum, das für sie anwendbare Prozedere einzuhalten. Ein nicht beachtetes Prozedere kann zu einem späteren Zeitpunkt häufig nicht mehr nachgeholt werden, z.B. auch nicht von einem nachträglich beigezogenen Rechtsanwalt. Dies unterstreicht nochmals, wie wichtig es ist, dass das Bauteam selbst diese Aufgabe korrekt umsetzen kann.

3. Beweise sichern

Die beste Anspruchsgrundlage nützt nichts, wenn der Unternehmer die dafür erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht beweisen kann. Der dritte Schritt in der APB-Methode bildet daher die baubegleitende Sicherung des Beweises. Nachzuweisen sind insbesondere die anspruchsbegründenden Tatsachen, die daraus resultierenden Kosten- und Terminfolgen und die Einhaltung des Prozederes.

Welche Beweise konkret zu erstellen sind, hängt wiederum von der Anspruchsgrundlage ab. Hat der Unternehmer z.B. Anspruch auf eine Vergütung des Mehraufwands, dann hat er den Mehraufwand zu beweisen. Hat er hingegen Anspruch auf eine Mehrvergütung nach den Vertragspreisen, dann kommt es auf den Aufwand nicht an. Eine effektives Beweissicherung setzt daher stets voraus, dass das Bauteam die Anspruchsgrundlagen und die jeweiligen Prozedere kennt. Ansonsten bleibt unklar, was es überhaupt dokumentieren soll.

Auch bei der Beweissicherung wird häufig übersehen, dass der Unternehmer die Kosten- und Terminfolgen nicht gesamthaft geltend machen kann. Wie bereits erwähnt, nur weil der Unternehmer Mehrkosten und Bauverzögerungen nachweist, ist er noch lange nicht zu einem Nachtrag berechtigt.

Aus diesem Grund müssen die Beweise so genau gesichert werden, dass die Mehrkosten- und Terminfolgen jeweils einer bestimmten Anspruchsgrundlage zugewiesen werden können. Denn steht am Ende bloss fest, dass es im Projekt zu Mehrkosten und Terminverschiebungen kam, können diese aber nicht einer anspruchsbegründenden Ursache zugewiesen werden, so geht der Unternehmer am Ende dennoch leer aus.

Fazit

Das Nachtragsmanagement versteht sich als die Aufgabe beider Parteien, nach Vertragsschluss eingetretene Ansprüche zu identifizieren, verursachergemäss einzuordnen und diese in Form eines Nachtrags zu bereinigen. Dies ist nur gemeinsam möglich. Ein Anspruch ist berechtigt, wenn eine Anspruchsgrundlage besteht, das Prozedere eingehalten wurde und der Anspruch vom Unternehmer nachgewiesen werden kann.

 

ZUM AUTOR Thomas Risch ist Rechtsanwalt, Gründer von Risch Baurecht und Autor von «Nachtragsmanagement nach SIA-Norm 118». Seit über 10 Jahren unterstützt er Baufachleute und Entscheidungsträger in schwierigen Nachtragssituationen zur Wahrung ihrer Rechte. www.rischbaurecht.ch

 

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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