Trainingsarena nicht nur für Tunnelbaufachleute

Der Versuchsstollen Hagerbach bei Flums ermöglicht es Fachleuten, neue Erkenntnisse zum Bauen im Untergrund zu gewinnen. Dieser Bereich wird künftig an Bedeutung gewinnen. Der 1970 gegründete Stollen feierte am 18. Juni 2021 sein 50-Jahres-Jubiläum und ist gut für die Zukunft gerüstet. 

 

Für die aktuell stattfindende Fussball-Europameisterschaften haben die Spieler der Nationen, die sich qualifiziert haben, hart trainiert. So können sie – hoffentlich! – im entscheidenden Moment ihre Leistung abrufen. Trainieren können auch Baufachleute, die nach unten streben. Im Versuchsstollen Hagerbach VSH, können sie unter anderem Baumaschinen, Baumaterialien oder Bauverfahren beim Bauen im Untergrund testen und sich weiterbilden. Gian-Luca Lardi, Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes SBV, meint in einer Gratulationsbotschaft an den VSH: «Während meines Studiums zum Bauingenieur hatten wir den VSH als echten unterirdischen Übungsplatz. Seither hat sich vieles verändert, aber der Versuchsstollen Hagerbach hat stets die Zeichen der Zeit erkannt und sich weiterentwickelt.» In der Tat bietet die Vielzahl der Stollen, Kavernen, Versuchsfelder, Labors und Schulungsräume ideale Voraussetzungen für Forschung, Entwicklung, Prüfung, 1:1-Versuche sowie Events aller Art. Spezialisten aus aller Welt nutzen das Umfeld als Trainingscamp und Forschungslabor. Der VSH arbeitet sowohl an eigenen Entwicklungen als auch im Auftrag und in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Verbänden und Forschungsinstituten. Die Mitarbeit in nationalen und europäischen Forschungsprojekten gewährt den Mitarbeitenden eine breit abgestützte Wissensgrundlage.

Forschung zu unterirdischen Rechenzentren 

Die Liste der Forschungsarbeiten, die am VSH laufen oder an denen der VSH beteiligt ist lang und kann deshalb nicht vollständig aufgeführt werden. Der Fokus ist dabei zukunftsgerichtet. So spielt der VSH bei der Konzipierung von Rechenzentren eine Rolle. Rechenzentren spielen aufgrund der Verstädterung und dem Aufkommen des Internets der Dinge eine immer grössere Rolle. Der Druck, den Flächenverbrauch an der Oberfläche zu reduzieren, führt dazu, dass unterirdische Rechenzentren an Bedeutung gewinnen. Ein Konsortium studiert derzeit ein Underground Edge Data Center in einer realen unterirdischen Kavernenumgebung im VSH. Darüber hinaus wird eine Konzeptstudie «Kleine bis mittelgrosse Underground Data Centers» erarbeitet, die Entwicklern, Anwendern und Betreibern fundierte Entscheidungshilfen für den Vergleich zwischen über- und unterirdischen Lösungen für kleine bis mittelgrosse Rechenzentren liefern wird.

Elektrofahrzeuge gelten als sauber – ungeklärt war bisher noch, welche Emissionen entstehen, wenn solche Automobile in Brand geraten und ob dies Auswirkungen auf den Betrieb und die Sicherheit von unterirdischen Infrastrukturen hat. Hier hat der Versuchsstollen Hagerbach Forschungsarbeit geleistet.

Dass im VHS zu Bränden geforscht wird, ist kein Zufall. Das International Center for Safety in Tunnels (ICST) baute im VSH einen 230 Meter langen Brandstollen zu Forschungs- und Ausbildungszwecken. Der VSH ist mit den unterschiedlichen Organisationen und Firmen zum grössten privaten Forschungsstollen Europas geworden.

Visionär stapelt tief 

Da der Versuchsstollen Hagerbach international Beachtung findet, denkt man nicht, dass er auf die Initiative einer Einzelperson zurückgeht. 1970 war es, als der Bergbauingenieur Rudolf Amberg zusammen mit Partnern den VSH gründete. Vier Jahre zuvor hatte der Visionär und Pionier ein eigenes Ingenieurbüro gegründet, aus dem später die Amberg Group hervorging, nun war er auf der Suche nach Versuchsmöglichkeiten 1:1 für Innovationen und neue Effizienzvorteile. Vorerst standen Versuche der Spreng- und Bohrtechnik im Fokus. Nach und nach entstand am Bergfuss des Eichbühl in Flums-Hochwiese ein über fünf Kilometer langes Stollensystem ausgebrochen im harten Kieselkalk. Die Baukosten für den Rohbau betrugen mindestens 20 Millionen Schweizer Franken. Obschon die Bergbauindustrie in der Schweiz scheiterte, konnte sich der VSH als Innovationscenter für Tunnelbau und Nutzung unterirdischer Räume etablieren.

Jedes Jahr wächst das Tunnelsystem unterschiedlich, abhängig vom Projekt der Versuchpartner. Ein Höhepunkt war, als im Zuge des Baus des Gotthard-Basistunnels die bei diesem Bauwerk verwendeten Baumaterialien auf Druck und Hitze getestet wurden. Gemäss Behördenvorgabe mussten sie mindestens 100 Jahre überdauern. Weiter wurden ganze Tunnelabschnitte nachgebaut, zum Beispiel. für die Rennovation der RhB-Tunnel.

Daneben konnte sich der VSH im Gastronomie- und Eventbereich einen guten Namen machen.

50 Jahre VSH 

Letztes Jahr konnte aufgrund der Corona-Situation das 50-Jahre-Jubiläum nicht gefeiert werden. Das wird am 18. Juni 2021 nachgeholt (nxt50.hagerbach.ch).

Beim VSH blickt man indes nicht nur zurück, sondern vor allem nach vorne. Und hat bereits aufsehenerregende Pläne. So könnte im Versuchsstollen eine bahnbrechende Schneesportanlage unter Tag entstehen. Dort könnten Wintersportler ihren Sport das ganze Jahr über trainieren.

Mit anderen Worten: Ob Tunnelfachleute oder Spitzensportler, das Training wird im VSH zentral bleiben.

Eine Grussbotschaft von Gian-Luca Lardi, Zentralpräsident SBV, finden Sie hier.

 

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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