«Unschuldsvermutung wird nicht eingehalten»

Cristina Schaffner, Direktorin Bauen Schweiz, äussert sich zum Kartellrecht.

 

Bauenschweiz und unter anderem der SBV haben mehrere Massnahmen hinsichtlich der Compliance unternommen, etwa Merkblätter zum korrekten Verhalten publiziert. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser Massnahmen ein und sind weitere Massnahmen geplant?

Bauenschweiz lancierte als Dachverband der Bauwirtschaft zusammen mit den Mitgliedsverbänden eine gemeinsame Erklärung gegen Korruption und kartellrechtliche Verstösse in der Schweizer Baubranche. Wir veröffentlichten 2020 mit den Mitgliedsverbänden die Compliance-Erklärung. Damit bekennt sich Bauenschweiz zu einem fairen und freien Wettbewerb und fordert seine Mitglieder auf ihre Unternehmen in diesem Bereich zu unterstützen. Verschiedene Berufs- und Branchenverbände haben die Umsetzung von Massnahmen an die Hand genommen und Dokumente erarbeitet, anhand derer sie ihre Mitglieder orientieren und sensibilisieren. Sei dies mit Rechtsauskünften, Merkblättern, Seminaren oder sogar die Einbettung in die Aufnahmebestimmungen für neue Mitgliedsunternehmen. Das sind wichtige Zeichen, die wir mit dem gemeinsamen Aufruf 2020 auslösen konnten. Das Thema bleibt ein Schwerpunkt in unserer Verbandskommunikation und der politischen Arbeit rund um die «kleine Revision» und die beiden Motionen der Ständerate Olivier Français und Hans Wicki.

 

Zu diesen Motionen: Das Parlament hat im letzten Jahr zwei Gesetzesvorstösse zur Compliance verabschiedet, eine Motion vom Ständerat Olivier Français und eine andere von Hans Wicki, dem Präsidenten von bauenschweiz. Was wollen die beiden Motionen erreichen?

Die beiden Motionen Français und Wicki sollen die gesetzeswidrige Praxis der Kartellbehörden bezüglich Kartellverbote und Beweislastumkehr korrigieren. Ständerat Français fordert, dass der Tatbestand der unzulässigen Wettbewerbsabrede unter Berücksichtigung sowohl qualitativer als auch quantitativer Kriterien bestimmt werden soll. Eine Prüfung muss immer mit Blick auf den Einzelfall unter Einbezug der ökonomischen und rechtlichen Situation sorgfältig abgewogen werden. Damit wird der von der juristischen Praxis eingeführte Begriff und Fokus auf die «per se» Erheblichkeit aufgehoben und vernünftige, nicht-erhebliche Kooperationen unter Unternehmen nicht mehr aus rein formalen Gründen verboten. Dies schafft weitere Rechtssicherheit für die KMU. Absprachen, die hingegen eine negative volkswirtschaftliche Wirkung haben, werden weiterhin geahndet und sanktioniert. Die Motion Wicki beauftragt den Bundesrat, das Kartellgesetz so zu präzisieren, dass die verfassungsmässige Unschuldsvermutung Anwendung findet. Die WEKO soll neben belastenden auch entlastende Informationen für die Untersuchung sammeln und damit gemäss Gesetz den vollen Beweis für die Schuld eines Unternehmens erbringen.

 

Manche Verbände kritisieren, dass das Kartellrecht in der Praxis unfair gelebt wird, dass die Behörden zu eigenständig auftreten und dabei den Willen des Gesetzgebers missachten. Teilen Sie diese Kritik?

Ich kann den Unmut nachvollziehen. Es gibt genügend Beispiele in allen Branchen der Wirtschaft, die aufzeigen, dass in der Praxis zum Beispiel zu wenig entlastende Beweise gesammelt werden. Damit ist aus meiner Sicht die Unschuldsvermutung nicht eingehalten. Die Praxis hat sich damit vom Wettbewerbsrecht bezüglich Kartellverboten und Beweislast entfernt. Es ist auch die Aufgabe von Bauenschweiz, eine Diskussion des Kartellrechts im Sinne der Mitglieder zu führen und widersprüchliche und einseitige Bestimmungen anzuprangern. Es braucht pragmatische, praxistaugliche Rahmenbedingungen für die KMU. Genau dort setzen die beiden Motionen Wicki und Français an.

 

Können Sie ein bis zwei Beispiele nennen, was in der Praxis falsch läuft?

Ich geben ihnen ein kurzes Beispiel, dass wir für eine Parlamentarierdokumentation aufbereitet haben. Der Fall ist einsehbar. Im Fall Fenster- und Fenstertürbeschläge (RPW 2010/4, S. 717 ff. sowie RPW 2014/3, S. 548 ff) hielt die WEKO fest, dass sich vier Händler von Fenster- und Fenstertürbeschlägen über den Zeitpunkt sowie die Höhe von Preiserhöhungen abgesprochen hätten. Das Bundesverwaltungsgericht kam zum Schluss, dass die Beweisführung und Beweisbeschaffung der WEKO mangelhaft und unvollständig gewesen sei, weswegen sie der ihr obliegenden Beweislast nicht vollständig genügte und den Sachverhalt nicht korrekt festgestellt hatte. Insbesondere wurde gerügt, dass die WEKO nicht nachgewiesen habe, ob der Austausch zwischen den Unternehmen zu den umgesetzten Preiserhöhungen geführt hatte. Das Bundesgericht entschied sogar, dass das Bundesverwaltungsgericht Beweise erheben müsse, wenn der Sachverhalt von der WEKO mangelhaft festgestellt worden sei.

 

Einige Verbände weisen darauf hin, dass die Wettbewerbsbehörde und ihr Sekretariat sehr eng miteinander verwoben sind und sie aus staatsrechtlicher Sicht besser getrennt werden sollten. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Aus staatsrechtlicher Sicht sehe ich etwa Klärungsbedarf in der engen Verzahnung zwischen Kommission und ihres Sekretariats – sprich des Richters und des Anklägers. Für jemandem wie mich, ohne Bauwirtschaftshintergrund oder Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der Weko und nur wenigen Rechtsfächer an der Uni ist es schwierig nachzuvollziehen wie Ankläger und Richter so eng miteinander verwoben sind. Und ich bin nicht alleine.

 

 

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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