«Unternehmen dürfen davon ausgehen, dass ARGE aus kartellrechtlicher Sicht grundsätzlich unbedenklich sind»

Frank Stüssi ist Stellvertretender Direktor, Leiter Dienst Bau beim Sekretariat der Wettbewerbskommission (WEKO). In einem Interview erklärt er, dass ARGE in der Regel wettbewerbsfördernd und kartellrechtlich unbedenklich seien.

 

Sie sind bei der Wettbewerbskommission WEKO für die Themen Bau zuständig. Was sind aus Ihrer Sicht hier aktuell die wichtigen Themen für die Baubranche?

In den vergangenen Jahren beschäftigte sich die WEKO stark mit Submissionsabreden. Sie deckte in mehreren Verfahren Abreden von Bauunternehmen auf, die insgesamt rund 2'000 Vergabeprojekte der öffentlichen Hand und von Privaten betrafen. Auch jüngst schloss die WEKO zwei Untersuchungen zu Submissionsabreden ab, und gegenwärtig ist ein Verfahren wegen allfälliger Submissionsabreden in der Region Moesa im Gange.

Im Fokus der WEKO stehen im Baubereich zunehmend unzulässige Verhaltensweisen von Kies-, Beton- und Belagswerken sowie Deponien. So urteilte die WEKO Ende 2018 über unzulässige Preis- und Gebietsabreden im Betonbereich von zwei Berner Unternehmen. Diese zwei Unternehmen koordinierten Preiselemente und Liefergebiete. Aktuell führt die WEKO drei Untersuchungen zu allfälligen Abreden und möglichen Missbräuchen von mutmasslich marktbeherrschenden Unternehmen in der Kies-, Belags- und Deponiebranche. Inhalte bilden unter anderem Konkurrenzverbote und Vorzugskonditionen für Aktionärinnen.

Auch weiterhin wird die WEKO in die statistische Aufdeckung von Kartellen investieren. 2013 eröffnete sie erstmalig ein Verfahren auf Basis einer Analyse von Offertdaten und deckte damit ein jahrelang bestehendes Submissionskartell auf. Dieses statistische Instrument findet international Anklang und wird laufend verfeinert.

Bauen ist gerade bei komplexeren Projekten ein Gemeinschaftswerk, bei dem Kooperationen wie Arbeitsgemeinschaften wichtig sind. Wie beurteilt dies die WEKO?

ARGE gehören zum Tagesgeschäft, sei es bei kleineren Unternehmen oder bei grösseren Projekten. ARGE sind in der Regel wettbewerbsfördernd und ermöglichen Unternehmen, in Vergabeprozessen Offerten einzureichen. Die wichtigste Botschaft lautet deshalb: Unternehmen dürfen davon ausgehen, dass ARGE aus kartellrechtlicher Sicht grundsätzlich unbedenklich sind. Diese Botschaft ist deshalb wichtig, da sich seit etlichen Jahren die falsche Information hält, die WEKO würde ARGE verbieten. Gegenstand bisheriger WEKO-Verfahren waren Submissionsabreden, nicht ARGE.

Solange ARGE ermöglichen, Bauprojekte zu verwirklichen und Offerten einzureichen, bilden ARGE keine Wettbewerbsabreden im kartellrechtlichen Sinne und das Kartellgesetz greift nicht.

Unter welchen konkreten Bedingungen sind Arbeitsgemeinschaften unbedenklich?

Die möglichen Gründe für ARGE sind vielfältig: Beschaffungsprojekte erfordern teilweise Spezialitäten, die ein Unternehmen nicht aufweist; Unternehmen verfügen allein nicht über genügend Ressourcen (Personal, Maschinen); ARGE erlauben die Erfüllung finanzieller Garantien; sie dienen der Kapazitäts- und Risikooptimierung; sie erlauben ein wirtschaftlicheres Angebot; etc. Solche Angebote reduzieren den Wettbewerb in Vergabeverfahren nicht. Sie basieren auf unternehmerischen Überlegungen, werden aufgrund der konkreten Umstände gebildet, sind wirtschaftlich zweckmässig und vernünftig. All diese ARGE beeinträchtigen den Wettbewerb nicht und stellen deshalb aus kartellrechtlicher Sicht keine Wettbewerbsabreden dar. Deshalb betont die WEKO seit rund zehn Jahren, dass ARGE im Grundsatz kartellrechtlich unbedenklich sind.

Gibt es Fälle, in denen ARGE dennoch problematisch sind?

ARGE werden erst dann problematisch, wenn sie dazu gebildet werden, den Wettbewerb einzuschränken oder wenn ARGE als Deckmantel für Kartelle benutzt werden. Bildet beispielsweise ein Bauunternehmen mit seinem schärfsten Konkurrenten nur deshalb eine ARGE, weil es damit den Preisdruck reduzieren will, ist diese ARGE aus kartellrechtlicher Sicht problematisch. Eine solche ARGE führt zu weniger Offerten mit höheren Preisen und hemmt den Wettbewerb.

Heikel wäre auch, wenn ein Unternehmen an sich gar keine ARGE bilden will, aber trotzdem bei Konkurrenten ARGE-Anfragen startet und ARGE-Gespräche führt, um so in Erfahrung zu bringen, ob ein Konkurrent an einem Objekt interessiert ist oder zu welchem Preisen er offerieren würde. Ein solcher Informationsaustausch ist kartellrechtlich bedenklich.

Wie steht es um Dauer-ARGE?

Teilweise bilden Unternehmen ARGE nicht projektweise, sondern über längere Zeit und mehrere Vergaben hinweg immer mit der gleichen Geschäftspartnerin. Dadurch können Unternehmen etwa gemeinsam das Risiko tragen, mehr Aufträge als erwartet zu erhalten. Soweit die üblichen Gründe für die ARGE-Bildung zum Tragen kommen, sind Dauer-ARGE im Grundsatz unbedenklich. Anders sähe es aus, wenn die Unternehmen auf Dauer gemeinsam Offerten einreichen, obwohl sie die erhaltenen Projekte von Anfang an alleine ausführen wollen oder letztlich oftmals alleine ausführten, oder wenn die ARGE dazu dient, den Wettbewerbsdruck zu senken. Solche Dauer-ARGE würden insgesamt zu weniger Offerten führen und wären kartellrechtlich bedenklich. Zu diesem Thema gibt es einen Vorabklärungsbericht über zwei Dauer-ARGE aus dem Kanton Graubünden (abgedruckt im RPW 2021/1).

Als Praxistipp: es macht Sinn, wenn Unternehmen intern die Gründe für ARGE-Bildungen allgemein diskutieren, sich im Einzelfall der Gründe bewusst sind, weshalb sie eine ARGE bilden wollen, und in Zweifelsfällen die Gründe kritisch hinterfragen. Bilden Unternehmen öfters ARGE, ist es auch ratsam, die konkreten Gründe für die jeweilige ARGE Bildung summarisch in eigenen Worten zu dokumentieren.

Der SBV und bauenschweiz haben in den letzten Jahren ein Programm zur Sensibilisierung in wettbewerbsrechtlichen Fragen umgesetzt. Stellen Sie eine Entwicklung fest?

In Gesprächen mit Vergabestellen, Unternehmen und Verbänden zeigt sich, dass die Baubranche in den letzten rund zwölf Jahren für wettbewerbsrechtliche Fragen spürbar sensibler wurde. Submissionsabreden sind zwar weiterhin ein Thema, insgesamt ist aber davon auszugehen, dass Unternehmen deutlich weniger Submissionsabreden treffen als beispielsweise noch vor zehn Jahren. Eine Kartellkultur, wie sie bis in die 90er-Jahre herrschte, besteht nicht mehr. Dies hängt sicher mit den vielen WEKO-Entscheidungen und den zahlreichen Informationsveranstaltungen des SBV, bauenschweiz und der WEKO zusammen. Die WEKO hält seit langem zahlreiche Vorträge zum Thema Submissionsabreden und sensibilisiert Vergabestellen, Behörden und das breite Publikum. Die Bemühungen des SBV, bauenschweiz und der WEKO wirken präventiv. Förderlich ist auch, dass im revidierten Beschaffungsrecht neu eine Anzeigepflicht für Beschaffungsstellen bei Verdacht auf Submissionsabreden verankert ist und vergaberechtliche Sanktionen explizit vorgesehen sind.

Es lohnt sich sicher, dass der SBV, bauenschweiz und die WEKO gemeinsam am gleichen Strick ziehen und weiterhin die Baubranche über aktuelle kartellrechtliche Entwicklungen und Entscheide informieren sowie beratend zur Seite stehen. So bleiben Unternehmen vor kartellrechtlichen Problemen geschützt.

 

Die Sichtweise des SBV

 

Seit mehreren Jahren steht eine Reihe falscher Annahmen und Unsicherheiten bezüglich der Haltung der WEKO gegenüber Arbeitsgemeinschaften (ARGE) im Raum. Ich bin sehr erfreut, dass sich die WEKO durch ihren stellvertretenden Direktor so klar zu diesem Thema äussert. Denn ARGE in der Baubranche sind weder verboten, noch im Visier der WEKO. Frank Stüssi sagt es im Interview mit der Schweizer Bauwirtschaft sehr treffend: ARGE stellen aus kartellrechtlicher Sicht kein grundsätzliches Problem dar, sondern sind vielmehr sinnvoll und bieten verschiedene Vorteile, sowohl für die Unternehmen als auch für die Gesellschaft als Ganzes, die von den Gebäuden, die wir bauen, profitiert.

 

Den Wettbewerb ankurbeln, indem die Teilnahme an Ausschreibungen erlaubt wird Auch Unternehmen einer gewissen Grösse verfügen alleine nicht immer über alle notwendigen Ressourcen in Sachen Personal, Maschinen, Kompetenzen oder finanziellen Sicherheiten, um an Ausschreibungen teilzunehmen. Die Zusammenarbeit als ARGE fördert den Wettbewerb, was auf allen Ebenen Vorteile mit sich bringt, denn ARGE beruhen auf rein unternehmerischen Überlegungen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind sie also völlig legitim und ermöglichen es den Unternehmen, ihre Kapazitäten und Risiken zu optimieren. Es waren nie die ARGE, die im Visier der WEKO waren, sondern Kartellabsprachen. Unsere Branche hat ein grosses Bewusstsein für Kartellfragen entwickelt. Darauf hat auch der Schweizerische Baumeisterverband hingearbeitet und verschiedene Massnahmen zur Sensibilisierung der Branche getroffen.

 

Klare Spielregeln und Fairness Als Direktor des SBV kann ich Ihnen garantieren, dass wir die Massnahmen, die zu einem gesunden, fairen Wettbewerb beitragen, auch in Zukunft weiterführen werden. Das bedeutet auch, dass wir uns weiterhin dafür einsetzen werden, dass die Prozesse bei Verdacht auf unlautere Absprachen für die betroffenen Unternehmen korrekt und fair sind, damit diese ihre Argumente anbringen können, ohne automatisch wirtschaftliche Folgeschäden davonzutragen. Baumeister sind loyale Menschen, doch sind wir nicht vor widerrechtlichem Verhalten gefeit. Das Kartellrecht greift bei Methoden, die anderen Marktteilnehmern schaden. Es ist daher normal, dass das Kartellrecht solche Machenschaften bestraft, ganz ohne Vorurteile gegenüber einer gesamten Branche und ohne Drohkulisse gegenüber den sich korrekt verhaltenden Unternehmen. Die sehr deutliche Position der WEKO gegenüber ARGE schafft Klarheit darüber, was erlaubt ist und was nicht. Wir können dies nur begrüssen, denn klare Spielregeln tragen zum fairen und wichtigen Wettbewerb in unserer Branche bei.

 

Benedikt Koch, Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands

 

 

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Schweizerischer Baumeisterverband

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