«Verdichtung braucht Vielfalt»

Christian Schmid, Professor für Soziologie und Stadtentwicklung am Departement Architektur der ETH Zürich, sagt, wie Verdichtungsprojekte die Lebensqualität in Städten verbessern, warum Richtpläne mehr regeln sollten und dass Agglomerationen für das Wachstum der Städte wichtig sind.

Was macht eine Stadt lebenswert? Für Christian Schmid, der sich als Soziologe am Departement Architektur der ETH Zürich wissenschaftlich mit der Stadtentwicklung auseinandersetzt, ist die Antwort klar: «Die Vielfalt der Menschen, die in ihr leben. Das friedliche Zusammenleben von unterschiedlichsten Menschen schafft Begegnungsmöglichkeiten und Urbanität. Es ist gerade die Offenheit gegenüber Fremden, die wir an beliebten Tourismusdestinationen wie London oder Paris so schätzen.» Die Vielfalt könne gelingen, wenn ein Ort unterschiedliche Räume offeriere. Gerade hier sieht Schmid ein Problem vieler Verdichtungsprojekte: «Es entstehen Gebäude in einer immer gleichen Architektursprache, die für ganz bestimmte Zielgruppen, meistens besserverdienende Paare oder Familien, gedacht sind. So kann aber keine Vielfalt entstehen.» Schmid fände es daher besser – «und es würde sich auch weniger Widerstand regen» – wenn bei Verdichtungen nicht ganze Siedlungen niedergerissen würden, sondern möglichst viele Gebäude durch eine behutsame Erneuerung erhalten und Verdichtung durch Anbauten oder Aufstockungen ermöglicht würden. So könnten auch mehr Menschen im Quartier wohnen bleiben. In Sachen Wohnungsnot und Verdichtung müsse man zudem differenzieren, ob die Verdichtung tatsächlich Wohnraum für mehr Personen schaffe. «Häufig werden anstelle von 3-Zimmer-Wohnungen mit 60 Quadratmetern einfach 3-Zimmer-Wohnungen mit 100 Quadratmetern erstellt. Das bietet nicht mehr Personen, sondern anderen Personen Wohnraum – und genau das stösst auf Kritik.» Zumal, wie Schmid betont, die Grundrisse der kleinen Wohnungen aus den 50er und 60er Jahren auch ihre Vorteile hätten, was sich gerade in der Pandemie gezeigt hätte. «In Zeiten von Home Office sind Eltern froh, auch mal die Türen schliessen zu können.»

Geregelte Pendlerströme

Zu den fehlenden Wohnungen in den urbanen Zentren meint Schmid: «Das Problem betrifft vor allem Zürich oder Genf und es geht dabei um die Frage der Erschwinglichkeit. Dass nämlich die Wohnungen in den Zentren für immer mehr Bevölkerungskreise unerschwinglich werden. In peripheren Gebieten gibt es noch eher günstigen Wohnraum gibt.» Wäre es aber nicht von Vorteil, wenn alle, die zum Beispiel in der Stadt Zürich arbeiten, dort auch wohnen könnten? Die Stadt Zürich habe in der Tat in den 1970er Jahren das Verhältnis zwischen Arbeitsplätzen und Wohnraum zugunsten des Wohnraums verbessern wollen, erinnert sich Schmid. Das sei ein guter Ansatz gewesen. Für ihn ist es aber nicht negativ, wenn die Leute aus der Agglomeration zu den Zürcher Bahnhöfen pendeln. «Diese Pendlerströme lassen sich relativ einfach mit der S-Bahn bewältigen. Wenn die Leute stattdessen zerstreut in der Agglomeration arbeiten würden, und zum Beispiel von Ottenbach nach Hinwil fahren müssten, wäre das fast nur noch mit dem Auto möglich. Das würde die täglichen Staus rund um Zürich noch weiter vergrössern. Die Planung der solcher tangentialer Pendlerströme wäre sehr viel anspruchsvoller.»

Die Entwicklung der Agglomeration ist also wichtig, um den im Umfeld von urbanen Zentren benötigten Wohnraum zu schaffen, betont Schmid. Dabei gebe es in der Agglomeration Möglichkeiten wie etwa Industriebrachen, und Zonen mit tiefer Ausnützung, gibt er zu bedenken. Man müsse manchmal über die Gemeindegrenze hinweg denken. Aber auch in der Agglomeration brauche es Vielfalt. «Ich sehe immer wieder fast gleichartige Wohnblöcke. Das wirkt monoton.» Ein gutes Beispiel ist für ihn hingegen die Glasi Bülach. Auf dem ehemaligen Gelände der Glashütte entstanden 583 Wohnungen, daneben aber auch Gewerbeflächen, öffentliche Plätze und Gemeinschaftsräume. Die Gebäude sind alle in einem anderen Stil, das Konzept lässt ein kunterbuntes Leben mit viel gegenseitigem Austausch zu.»

Ob in der Agglomeration oder in der Stadt: Lange Bewilligungsverfahren und Einsprachen verzögern oder verhindern sogar die Realisierung von Bauprojekten. Schmid denkt, dass kantonale Richtpläne präzisere Vorgaben machen sollten, damit gewisse Fragen nicht erst auf Stufe Bauprojekt geklärt werden müssten.

«Es gibt zu wenig Wohnforschung»

In Sachen fehlender Wohnraum bemängelt Schmid, dass viele Kritiken nach Übeltätern und einfachen Rezepten suchen würden und nicht an echten Problemlösungen interessiert seien. «Es ist beispielsweise illusorisch, einfach jedes Gebäude in der Stadt Zürich um ein Stockwerk erhöhen zu wollen. Das wäre oft ein massiver Eingriff in die Bausubstanz, und daher kompliziert und teuer. Es würde letztlich zu noch mehr Gesamtsanierungen führen und noch mehr günstigen Wohnraum vernichten.» In der Schweiz, hält er fest, brauche es mehr massgeschneiderte Lösungen und dafür auch eine bessere Wohnforschung.

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Susanna Vanek

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