«Wachstum ist ein Zeichen des Erfolgs» Noch in diesem Jahr wird die Schweiz neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählen. Martin Neukom, Zürcher Regierungsrat, und Gerhard Meyer, Geschäftsführer Baumeisterverband Zürich/Schaffhausen, im Gespräch. Dienstag, 18.6.2024 | 06:00 ... Schweizerischer Baumeisterverband Politik & Medien Agenda 125.0 Modernisierung «Wachstum ist ein Zeichen des Erfolgs» Noch in diesem Jahr wird die Schweiz neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählen. 2040 dürften es über zehn Millionen sein. Martin Neukom, Zürcher Regierungsrat, und Gerhard Meyer, Geschäftsführer Baumeisterverband Zürich/Schaffhausen über die Folgen und Chancen einer stark wachsenden Bevölkerung.2040 dürfte die Schweiz die Marke von zehn Millionen Einwohnern überschreiten. Wie wirkt sich das auf das Land aus?Martin Neukom: Für mich hat diese 10-Millionen-Marke zwei Seiten. Einerseits wird in politischen Diskussionen und in den Medien oft betont, wie schwierig, konflikt- oder anforderungsreich es ist, wenn künftig immer mehr Menschen in der Schweiz leben, denn sie brauchen mehr Infrastruktur, mehr Platz, mehr Naherholungsraum. Andererseits heisst es auch, dass es attraktiv ist, in der Schweiz, zum Beispiel im Kanton Zürich, zu leben. Wachstum ist ein Zeichen des Erfolgs, denn wer zieht schon gern in einen unattraktiven Kanton. Aber klar, es sind grosse Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir merken das zum Beispiel besonders stark in der Raumplanung. Alles, was Fläche benötigt, löst immer mehr Interessenskonflikte aus. Stichwort Schulhäuser: Wir kommen kaum nach, so viele Schulhäuser zu bauen, wie angesichts der steigenden Schülerzahlen benötigt werden. Und der Platz ist knapp.Gerhard Meyer: Ob die Schweiz die 10-Millionen-Marke im Jahr 2040 knackt, weiss ich nicht. Dies hängt auch von äusseren Faktoren ab, was auf der Welt und in Europa geschieht. Ich sehe die 10-Millionen-Schweiz als Rahmenbedingung und Chance zugleich. Gerade für das Baugewerbe heisst dies beispielsweise mehr Lernende auszubilden, sprich künftige Fachkräfte.Wie sicher sind Sie, dass dieses 10-Millionen-Szenario eintrifft?Martin Neukom: Ich rechne damit, sofern das Wachstum konstant bleibt. Es hängt allerdings davon ab, ob wir genügend Platz schaffen können, denn ohne neuen Wohnraum findet dieses Wachstum nicht statt.Gerard Meyer: Die 10-Millionen-Schweiz ist realistisch. Die Geschichte der Völkerbewegungen zeigt, dass die Menschen dort hinziehen, wo es für sie attraktiv ist, und ich bin überzeugt, da wird Zürich und die Schweiz generell auch in den kommenden Jahrzehnten wie ein Magnet wirken.In der Bevölkerung löst diese 10-Millionen-Schweiz auch Verunsicherungen und Ängste aus. Was machen Sie dagegen?Martin Neukom: Ein Patentrezept habe ich nicht, aber ich verstehe die Verunsicherungen und die Besorgnis. Bei Wachstumsherausforderungen helfen nun einmal keine einfachen politischen Massnahmen, sonst hätte man diese längst ergriffen. Deshalb habe ich Mühe mit der Forderung, man müsse die Zuwanderung in die Schweiz stoppen, indem man einfach die Grenzen schliesse, und dann seien die Probleme gelöst. Dass dem nicht so ist, sieht man am Beispiel Grossbritannien. Seit dem Brexit hat die Zuwanderung gar zugenommen – allerdings nicht mehr aus der EU, sondern aus Drittstaaten.Gerhard Meyer: Ich bin kein Politiker und weiss nicht, wie man den Leuten die Angst vor Veränderungen nimmt. Wir müssen verhindern, dass in der Bevölkerung extreme Polarisierungen stattfinden. Die fehlende Akzeptanz würde dazu führen, dass jeder nur noch seine Position vertritt und niemand mehr nach gemeinsamen Lösungen sucht.Der Wirtschaftsstandort Zürich dürfte überproportional zu anderen Teilen des Landes wachsen. Was bedeutet das?Martin Neukom: Ich bin als Regierungsrat froh, dass der Wirtschaftsstandort Zürich so begehrt ist. Das bringt aber wie gesagt auch Schwierigkeiten mit sich. Zum Bauen: Aktuell werden bei uns viele Gebäude komplett abgerissen und neu gebaut. Dabei geht immer auch ein Stück Identität verloren und es verursacht hohe CO2-Emissionen. Deshalb analysieren wir zurzeit, was nötig ist, damit Bauten weniger abgerissen, sondern weiterentwickelt werden. Das Stichwort lautet «Bauen im Bestand», zum Beispiel mit einer Instandhaltung, Aufstockung oder einem Um- oder Anbau. Mit solchen Massnahmen kann man das Wachstum für die Leute erträglicher machen. Daneben wird es allerdings immer Situationen geben, bei denen ein Neubau unumgänglich ist, weil sonst die gewünschte Ausnutzung nicht erreicht werden kann.Gerhard Meyer: Wo macht es Sinn, einen Neubau zu errichten, wo genügt eine Sanierung? Ich denke, es muss ein vernünftiger Mix sein, und das heisst, man wird künftig noch stärker als bisher für die Wohn- und Gesamtbevölkerung gesamtheitlich denken und planen müssen.Ist die bauliche Verdichtung des bestehenden Siedlungsgebiets eine Lösung? Martin Neukom: Die bauliche Verdichtung ist das erklärte Ziel des Kantons Zürich. Sie ist Teil einer qualitätsvollen, räumlichen Stadtentwicklung. Und sie verhindert die weitere Zersiedlung der Landschaft inklusive der damit verbundenen negativen Auswirkungen für die Umwelt und die Landwirtschaft. Ortsteile mit hoher Dichte haben viele Vorteile: Es lohnt sich dort beispielsweise, Bars, Kaffees und Restaurants zu betreiben, da es viele potenzielle Kunden hat. Im Grundsatz gilt: Mit höherer Dichte gibt es kürzere Verkehrswege. An meinem Wohnort Winterthur erreiche ist das meiste, was ich brauche, zu Fuss oder mit dem Fahrrad.Gerhard Meyer: Wo viele Leute auf wenig Raum wohnen, ist Verdichtung eine Lösung: In die Höhe bauen für eine möglichst optimale Flächenausnutzung. Aber ich sehe auch Probleme: Mehr Bewohner verursachen mehr Verkehr. Die Folgen sind nicht nur mehr Stau und überfüllte öffentliche Verkehrsmittel, sondern auch eine Überlastung vorhandener Infrastrukturen wie Parkanlagen, Schulen oder Schwimmbäder.In einer 15-Minuten-Stadt, wie in Zürich angedacht, ist von der Wohnung aus innert 15 Gehminuten alles erreichbar: der Arbeitsplatz, die Einkaufsmöglichkeiten, die Kita und der Hausarzt. Ein Wohnkonzept der Zukunft?Martin Neukom: Ja. Es ist attraktiv, in einer 15-Minuten-Stadt zu wohnen, wo das, was man für den Alltag braucht, zu Fuss oder mit dem Velo erreichbar ist. Allerdings darf man das nicht zu wörtlich nehmen – man wird nicht alles innerhalb von 15 Minuten erreichen, aber den Grossteil.Gerhard Meyer: Die Idee, alles bequem vor der Haustüre zu haben, ist verlockend. Aber ich habe meine Zweifel, ob der globalisiert aufgewachsene Mensch sich so einschränken lässt. Ich glaube, es bleibt bei der visionären Idee, die nicht umgesetzt wird, weil der Bezug zur Realität fehlt.Herr Meyer, wie zufrieden sind Sie als Vertreter der Baumeister mit dem Kanton Zürich?Gerhard Meyer: Ich bin sehr zufrieden und erlebe das Hoch- wie das Tiefbauamt des Kantons Zürich als wichtigen, zuverlässigen Partner, mit dem wir uns regelmässig konstruktiv austauschen.Haben Sie aus Sicht der Baumeister einen Wunsch an den Kanton Zürich?Herr Meyer: Wir wünschen uns vom Kanton, dass er sich seiner Vorreiterrolle für Gemeinden stets bewusst bleibt. Konkret sind in der Umsetzung von BöB/IVöB praktikable Anwendungsansätze zur Umsetzung von Nachhaltikeitskriterien. Darunter dürfen die Ausschreibungs- und Bewilligungsverfahren keinesfalls leiden – im Gegenteil. Die Ausschreibungen sollten an Komplexität und permanenter Erweiterung verlieren.Wie finanziert sich die 10-Millionen-Schweiz?Martin Neukom: Da mache ich mir weniger Sorgen. Wachstum lässt sich einfacher finanzieren als Schrumpfung. Die Erfahrung zeigt, dass sich in der Schweiz genügend Geld finden lässt, wenn sich eine Investition lohnt. Und bezüglich Staatshaushalts: Vergessen wir nicht, dass zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohner auch mehr Steuereinnahmen generieren.Gerhard Meyer: Wir müssen überlegen, was wir genau finanzieren. Eine gesunde Balance ist wichtig, also nicht zu viel Wohlfahrt, Stichwort 13. AHV-Rente, sondern mehr Hochbauten und Infrastrukturen. Investitionen sind längerfristig nachhaltiger als Subventionen.Interview: Werner Schüepp Zu den Personen Martin Neukom (Grüne) schloss nach seiner Lehre als Konstrukteur (Maschinenzeichner) ein Studium der Mechatronik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ab. 2016 absolvierte er seinen Masterabschluss an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg im Breisgau. Im Dezember 2019 verlieh ihm die Universität Augsburg den Grad eines Dr. rer. nat. Nach vier Jahren im Kantonsrat wurde Martin Neukom 2019 in den Zürcher Regierungsrat gewählt, wo er seither der Baudirektion vorsteht. Martin Neukom referiert am Tag der Bauwirtschaft 2024. Gerhard Meyer schloss sein Sekundarlehrerstudium phil I an der Universität Zürich ab. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Lehrperson absolvierte er die Schulleiterausbil-dung und erlangte zudem das SVEB-Diplom. 2003 übernahm der die Leitung einer Sekundarschule, bevor er ab 2007 als Geschäftsführer einer Schule am rechten Zürichsee tätig sein durfte. 2019 erfolgte der Wechsel zum Baumeisterverband ZH/SH als Geschäftsführer. Über den Autor Schweizerischer Baumeisterverband [email protected] Artikel teilen
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