Wachstum ohne Kopfschmerzen

In Winterthur skizziert der jüngst vorgelegte revidierte kommunale Richtplan, wie sich die Stadt weiterentwickeln soll. Ein Gespräch dazu mit Martin Jakl, Co-Leiter Stadtraum und Architektur im Winterthurer Amt für Städtebau.

 

 

Gemäss Prognosen wächst die Bevölkerung der Stadt Winterthur von heute 120'000 auf 135'000 im Jahr 2040. In der gleichen Zeitspanne sollen 30 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Sieht der Stadtplaner ein solches Wachstum als Chance oder als Risiko?

Es ist klar die Chance, den Stadtraum effizienter und nachhaltiger zu nutzen. Aber kein Zweifel: Für eine Stadt wie Winterthur ist Wachstum in dieser Grössenordnung eine Herausforderung. Der Raum wird knapper, das führt zu Reibungen. Unser überarbeiteter Richtplan skizziert Wege, um den Herausforderungen zu begegnen und sie in Chancen für eine gute Entwicklung umzumünzen.

 

Wie viele andere Gemeinden muss auch Winterthur das Wachstum durch Innenverdichtung bewältigen. Wie kann der Spagat zwischen mehr Dichte und hoher Lebensqualität gelingen?

Wir planen heute in hohem Masse interdisziplinär. Nur so können wir die Bereiche Siedlung, Verkehr und Freiraum umfassend austarieren. Ein wichtiges Element unserer Entwicklungsstrategie ist das so genannte «urbane Rückgrat», das wir entlang den Hauptverkehrsachsen in der Stadt definiert haben. Auf dieses Rückgrat soll sich das Hauptwachstum der nächsten Jahre konzentrieren. Auch in den Aussenquartieren wird es Entwicklung und Wachstum geben. Aber gesamthaft so, dass ein Festhalten an der Charakteristik Winterthurs als durchgrünte Stadt mit hoher Lebensqualität möglich ist.

 

Dichtgepackte Städte laufen Gefahr, angesichts der Klimaveränderung heisszulaufen. Ein Dilemma?

Nicht unbedingt. Mit dem Rahmenplan Stadtklima liegt dafür in Winterthur ebenfalls ein interdisziplinäres Strategiepapier vor. Nebst strengen Hochbau-Standards, welche die Bau- und Zonenordnung vorgibt, liegt ein grosser Hebel in der Gestaltung des öffentlichen Raums und in der Vernetzung vorhandener Freiräume. Dadurch sollen ein möglichst guter Luftaustausch im Stadtgebiet gewährleistet und Hitzeinseln minimiert werden. Wir können in Winterthur nicht den globalen Klimawandel abwenden. Das wäre Aspirin auf eine schwere Krankheit. Aber wir können mit gezielten städtebaulichen Massnahmen dafür sorgen, dass wir keine Kopfschmerzen bekommen.

 

Städtebauliche Massnahmen hinken wegen langen Prozessen dem aktuellen Wissenstand hinterher. Ist das im Klimabereich ein Problem?

Wir wissen, dass sich die registrierten Hitzeinseln dort befinden, wo wir hohe Versiegelungsgrade haben. Wir wissen also im Grundsatz, wo und wie wir ansetzen können, um dem Problem entgegenzuwirken. Tatsächlich ist es aber so, dass viele der Projekte, die wir heute umsetzen, vor rund zehn Jahren geplant wurden.

 

Werden also heute Projekte realisiert, die der angestrebten Entwicklung zuwiderlaufen?

In den letzten Jahren wurde viel geforscht und ausprobiert im Bereich der Hitzeentwicklung im urbanen Kontext. Dieses neue Wissen lassen wir, wo immer möglich in laufende Prozesse einfliessen. Deshalb kann ich sagen: Nein, wir setzen keine Projekte um, die nach aktuellem Verständnis Bausünden darstellen. Ebenso klar aber ist: ein dicht bebautes Grundstück behindert beispielsweise die Luftzirkulation zwangsläufig stärker als ein lose oder gar nicht bebautes Grundstück. Städtebau ist immer eine Abwägung.

 

Beat Matter

 

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Schweizerischer Baumeisterverband

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