Wie die Baubranche von Künstlicher Intelligenz profitieren kann

Künstliche Intelligenz wertet grosse Datenmengen aus, um neue Zusammenhänge zu erkennen. Ökonomischer bauen, geringere Gesundheitsrisiken und mehr Energieeffizienz werden dadurch möglich.

Quelle: www.towardsdatascience.com

Was ist Maschinelles Lernen?

Wie die letzte Innovations-Kurzgeschichte zeigte, sind Baufirmen vergleichsweise zurückhaltend beim Einsatz neuer Technologien. Neben Building Information Modeling (BIM), Big Data und Virtuellen Realitäten ist aber insbesondere die Künstliche Intelligenz eine vielversprechende Technologie für den Baubereich. Die bekannteste Art von Künstlicher Intelligenz ist das Maschinelle Lernen – auch schwache KI genannt. Beim Maschinellen Lernen wird der Computer mit Daten wie etwa Zahlentabellen, Texten, Bilder, Videos usw. gefüttert. Die Daten werden von einem Lern-Algorithmus analysiert, damit er Objekte und Zusammenhänge erkennt. Wenn man einem Computer beispielsweise tausende Bilder von Vögeln zeigt, so lernt er mit der Zeit, die verschiedenen Vogelarten zu unterscheiden.

Maschinelles Lernen hat bereits Eingang in die Baubranche gefunden. Ein Computer kann dank Kameras und Maschinellem Lernen bereits heute Dutzende Tätigkeiten und Handgriffe auf der Baustelle unterscheiden und bestimmten Arbeitsschritten bzw. Berufen zuordnen. Computer sind auch in der Lage, Schäden wie etwa Risse an Gebäuden und in Strassen zu erkennen und einzuschätzen, wie dringend sie repariert werden müssen.

Wirtschaftliche Effizienz steigern

Die Baukosten für ein Gebäude zuverlässig zu schätzen, ist für eine Baufirma nicht immer leicht. Je nach Vertrag können allfällige Mehrkosten nicht an den Bauherren weitergegeben werden. Grobe Fehlschätzungen können also den Gewinn einer Baufirma beeinträchtigen. Die beiden US-Forscher Rafiei und Adeli haben ein sog. unüberwachtes maschinelles Lernmodell entwickelt: Das Modell wird mit wirtschaftlichen Daten (Indikatoren wie Baumaterialpreise, Hypothekarvergabe, Inflation, Baugesuchen usw.) sowie Kosten früherer Bauprojekte gefüttert. Die Forscher geben zwar das Ziel vor, die Baukosten möglichst zuverlässig vorherzusagen. Das Modell ist aber unüberwacht, weil die Forscher nicht den Weg zum Ziel vorgeben. Nicht die Forscher programmieren einen Algorithmus, sondern der Computer selbst erkennt Muster in den Daten, um die Kosten möglichst zuverlässig zu schätzen. Der Computer hat sowohl einfache als auch komplexe Modelle entwickelt. Die komplexen Modelle erfordern mehr Daten, können die Baukosten aber mit einer Genauigkeit von 95% bis 100% vorhersagen. Die einfachen Modelle benötigen nur 27 Indikatoren, um die Kosten mit einer Zuverlässigkeit von rund 90% zu schätzen. Anders formuliert: die tatsächlichen Baukosten lagen im schlechtesten Fall 10% über der Prognose. Mit einem verwandten Modell ist es auch möglich, den Verkaufspreis eines Gebäudes noch vor Baubeginn zu schätzen. Auf diese Weise können Baufirmen frühzeitig und realistisch ihre Gewinne bei einem Bauprojekt abschätzen. Weitere Modelle eignen sich, um Cash Flows über die gesamte Plan- und Bauperiode von Gebäuden vorherzusagen. Dadurch können Baufirmen mögliche Finanzierungsengpässe rechtzeitig erkennen.

Unternehmen wie die englische Firma nPlan nutzen KI und Maschinelles Lernen, um die Optimierung der Projektplanung durch kontinuierliche Simulierung von Millionen von Alternativen für den Projektablauf zu unterstützen. Die Prognosemodelle stützen sich auf historische Daten wie etwa geplante Start-​ und Enddaten und geplante Baukosten sowie die letztlich tatsächlich realisierten Fristen und Kosten. Aus diesen Daten lernen die Modelle, zuverlässige Prognosen für neue Projekte zu erstellen. Falls sich während des Projekts Änderungen ergeben, so können diese in das Computermodell eingespiesen werden, um rasch die Auswirkungen für den Gesamtprojektplan sichtbar zu machen.

Moderne Technologien reduzieren Gesundheitsrisiken

Mittels modernen Technologien lassen sich Sicherheitsrisiken erkennen und Unfälle rechtzeitig verhindern, um die Gesundheit der Bauarbeiter zu schützen. Untersuchungen für die USA zeigen beispielsweise, dass 40% der dortigen Bauarbeiter an Übermüdung leiden. Übermüdung führt zu geringerer Konzentration, falscher Einschätzung von Risiken und reduzierter Reaktionszeit. Es gibt verschiede technische Möglichkeiten, die Müdigkeit der Bauarbeiter zu beobachten. Übliche Sensoren am Handgelenk überwachen den Herzschlag oder die Herzfrequenzreserve, aber sie erfassen den Müdigkeitsgrad nur zu 50% korrekt. Moderne Sensoren, die am Vorderarm angebracht werden, messen hingegen die Sauerstoffaufnahme und beobachten die Armmuskelaktivität. Dadurch können sie den Müdigkeitsgrad mit über 90% korrekt erfassen. Bei einem anderen Ansatz nehmen Kameras auf Baustellen laufend Videos von den Bauarbeitern auf und ein Computermodell analysiert ihre physische Müdigkeit in Echtzeit. Das Computermodell kann die Müdigkeit sogar je nach Körperteil unterscheiden. Dadurch kann man ein Frühwarnsystem etablieren und Unfälle verhindern.

Falsche Körperhaltungen oder -bewegungen sind vielfach die Ursache für temporäre oder dauerhafte Schädigungen an Muskeln und Knochen. Steigt man die Leiter zu hastig herunter, kann man ausrutschen und runterfallen. Künstliche Intelligenz wurde eingesetzt, um Videos und Bilder zu analysieren, wie Bauarbeiter Leitern herauf- und herabklettern und sich daran festhalten. In über 80% der Fälle hat die Künstliche Intelligenz korrekterweise erkannt, ob die entsprechende Bewegung an der Leiter zu einem Unfall führt.

Schwere Lasten aus einer falschen Bückposition heraus hochheben kann den Rücken schädigen. Gepaart mit entsprechenden Körpersensoren kann Künstliche Intelligenz in 75% bis 99% der Zeit laufend erkennen, wie ein Bauarbeiter beim Tragen von Ziegelsteinen seine Körperhaltung sowie sein Gangbild verändert und ob er dabei die richtige ergonomische Körperhaltung einhält.

Energiebedarf zuverlässig und rasch schätzen

45% der Energie in der Schweiz werden vom Gebäudepark verbraucht. Davon wiederum sind 70% dem Heizen zuzurechnen während der Rest weitgehend als Strom verwendet wird. Um Umwelt und Portemonnaie zu schonen, können Planer und Ingenieure klassischerweise sog. «Building Performance» Simulationen einsetzen. Basierend auf physikalischen Parametern berechnen diese Computermodelle etwa den Energiebedarf eines geplanten Gebäudes. Dadurch kann ein Planer etwa die Anzahl und Anordnung der Räume ändern oder andere Baumaterialien auswählen, um den Energiebedarf zum Heizen oder zum Kühlen des Gebäudes zu optimieren. Building Performance Simulationen betrachten das Gebäude ganzheitlich, sie sind daher sehr komplex und anspruchsvoll für den Planer. Sie müssen ausserdem für jedes Gebäude immer wieder angepasst werden. Dies alles ist zeitaufwändig. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat gezeigt, dass solche Modelle rund 573 Sekunden (9.5 Minuten) lang rechnen, um 100 verschiedene Gebäudeentwürfe zu vergleichen.

Stattdessen kann man auf komponentenbasierendes Maschinelles Lernen setzen. Dabei werden die thermischen Eigenschaften einzelner Komponenten wie einer Wand, einer Decke oder eines Raums einzeln berechnet und danach zusammengefügt. Auf diese Weise kann man die Rechenzeit für 100 Gebäudeentwürfe auf 0.45 Sekunden (0.0075 Minuten) reduzieren. Das Maschinelle ist also 1’300 mal schneller als die konventionellen Computermodelle. Planer können mit dem Maschinellen Lernen also wesentlich mehr Gebäudeentwürfe in viel weniger Zeit vergleichen, um den optimalen Entwurf hinsichtlich Energieeffizienz zu finden.

 

Das Maschinelle Lernen verwendet gemessene Energie- und thermische Daten von anderen Gebäuden. Dennoch wird fast dieselbe Vorhersagegenauigkeit erreicht wie mit Building Performance Simulationen. Gemessen an den Simulationen erreicht das Maschinelle Lernen eine Zuverlässigkeit von 98%, um den Energiedarf für das Kühlen von Gebäuden zu schätzen, sowie von 85% hinsichtlich des Energiebedarfs beim Heizen. Dies sind Verbesserungen für die Planungsphase des Gebäudebaus. Wenn das Gebäude schon errichtet wurde und genutzt wird, dann kann das Maschinelle Lernen helfen, den Energiekonsum während des Betriebs vorherzusagen. Solche Prognosemodelle können ein Jahr im Voraus auf den Tag genau den Energiebedarf mit einer Zuverlässigkeit von über 80% schätzen.

 

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Über den Autor

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Luiza Maria Maniera

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