Wie können Hochbauten einen Beitrag zur Energiewende leisten?

«Gemeinsam wirkungsvoll für einen nachhaltig gestalteten Lebensraum» heisst das Motto des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA. Die Schweizer Bauwirtschaft stellte Urs Rieder, dem amtierenden Co-Präsidenten a.i. des Vereins Fragen zum Thema Energieverbrauch im Planungsbereich.

 

Die Sanierungsquote in der Schweiz beträgt lediglich 1 Prozent. Ein grosser Teil des Gebäudeparks verbraucht zu viel Energie. Können wir uns das angesichts der Energiekrise leisten? 

Die Sanierungsquote ist tatsächlich zu tief. Sie sollte etwa 2 bis 3 Prozent betragen. Wir wenden heute vor allem auch zu viel Energie im Verbrauch auf, weil wir etwa ab der Mitte des letzten Jahrhunderts zu viele Gebäude billig und schlecht isoliert erstellt haben. Aus Sicht der Investoren war dies damals lukrativ. Aber eine andere wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, wie wir diese Gebäude heute heizen. Wir haben den Ausstieg aus der fossilien Energieerzeugung immer wieder hinausgeschoben, obwohl wir schon seit über 50 Jahren wissen, dass es nicht immer so weitergehen kann. Es war einfach lange Zeit günstiger und bequemer, als alternative Heizungssysteme einzusetzen. Wir haben hier einen grossen Nachrüstungsbedarf, wobei wir unser langjähriges Versäumnis heute oft mit Wartenzeiten büssen müssen, weil uns aktuell die benötigten Fachkräfte und Materialien fehlen.

 

Sind Ersatzneubauten energetischen Sanierungen vorzuziehen? Weil so zum Beispiel auch noch verdichtet werden kann?  

Diese Frage kann man nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Wir müssen den Energiebedarf und insbesondere den CO2-Ausstoss von Gebäuden senken, müssen aber auch nach innen verdichten und so die bestehenden Bauzonen besser nutzen. In den letzten Jahren hiess das Zauberwort hierfür Ersatzneubau. Dabei berücksichtigten wir aber zu wenig, dass die Hälfte des CO2-Ausstosses von Gebäuden bei der Erstellung und beim Rückbau entstehen und dass die Bauwirtschaft für 84% der Abfälle in der Schweiz verantwortlich ist. Wir sollten deshalb in jedem Einzelfall prüfen, ob nicht mit einem klugen Weiterbauen im Bestand gesamthaft ein besseres Resultat erreicht werden kann. Zwei weitere Punkte sind zudem von grosser Bedeutung. Einerseits sollten wir so bauen, dass die Gebäude dank stabilen und nutzungsoffenen Strukturen besser umgenutzt werden können und damit potentiell länger bestehen bleiben. Andererseits müssen die Bauteile so gefügt werden, dass ein Rückbau möglich wird, ohne die Bauteile zu zerstören und bei dem sich die einzelnen Materialien möglichst wieder voneinander trennen lassen.

 

Setzen Bund, Kantone und Gemeinden genügend Anreize für energetische Sanierungen? Oder sollten Bauherren mehr Subventionen erhalten? 

Anreize sind gut, sofern sie nicht zu viel Bürokratie schaffen. Darum  zweifle ich auch, ob Subventionen hier das richtige Mittel sind. Sie bergen die Gefahr, dass man sich an diesen ausrichtet und entsprechende Lösungen bevorzugt, was je nach Situation der Sache nicht immer dienlich ist. Aber selbstverständlich bin ich der Meinung, dass die Politik mehr unternehmen sollte, um die Energiewende rascher voranzutreiben – und um auf ihre vorangehende Frage zurückzukommen: Anreize wie eine höhere zulässige Ausnutzung können ebenfalls einen Beitrag leisten, wenn damit ein Weiterbauen anstelle von Ersatzneubauten möglich wird.

 

Seit einigen Jahren werden Häuser ohne Heizungen gebaut. Ist das die Zukunft? 

Nullenergie- oder Plusenergiehäuser sehe ich eher als wichtige Experimente, denn als Standardlösungen. Um in Extremsituationen noch ein behagliches Raumklima aufrecht zu erhalten muss je nach Standort ein enormer Aufwand betrieben werden. Mit zahlreichen klugen Massnahmen bei der Planung, damit meine ich Ausrichtung, Verschattung, Fensteranteil, Kompaktheit, Isolationsstärke, Präzision der Ausführung usw. kann man etwa 80% der üblichen Heizungsenergie vermeiden. Wer nun die letzten 20% auch noch einsparen möchte, und komplett auf eine Heizung verzichten möchte, wird entsprechend dem hohen, restlichen Aufwand tief in die Tasche greifen müssen. Dies macht in den meisten Fällen wenig Sinn. Zudem muss auch beachtet werden, welche Energieträger zum Heizen genutzt werden können. Die Hauptproblematik ist der CO2-Ausstoss. Wenn ich die gesamte Klimabilanz eines Gebäudes betrachte, ist es daher nicht vernünftig diesen grossen Aufwand zu betreiben, um die letzten 20% Heizenergie auch noch zu vermeiden.

Welchen Nutzen haben Labels wie Minergie? 

Labels sind wichtig, um dem Stand der Technik zum Durchbruch zu verhelfen. Dank Labels wie z.B. Minergie haben wir erreicht, dass wir heute bei sehr vielen Projekten höhere Anforderungen als die gesetzlichen Grundlagen erreicht haben. Durch die Standardisierung von Labels ist die Umsetzung solcher Standards verhältnismässig einfach. Um ambitöse Zielsetzungen zu erreichen, wie das vom Bundesrat formulierte Ziel «klimaneutrale Schweiz bis 2050», brauchen wir aber auch Bauherren und Planungsteams, welche bereit sind noch bessere Resultate zu erzielen oder mit neuen Lösungen wie zum Beispiel dem Einsatz von gebrauchten Bauteilen (Re-use) zu arbeiten. Solche Projekte helfen auch die Labels weiterzuentwickeln.

 

Wenn Sie sich ein Haus ganz nach eigenen Wünschen bauen könnten, ohne Rücksicht auf die Finanzen, die Lage etc: Wie würde das aussehen? 

Ich bin in der privilegierten Lage in einem alten Patrizierhaus wohnen zu dürfen und ich bin damit eigentlich sehr glücklich.

 

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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