«Wir können nicht allein auf Eigenverantwortung setzen»

Esther Keller, Regierungsrätin des Kantons Basel-Stadt und Vorsteherin des Bau- und Verkehrsdepartements, erklärt, wie sich Basel in die Klimazukunft entwickeln soll.

 

Haben Sie diesen heissen Sommer in der Stadt verbracht?

Zum Teil. Ich war in Basel, in den Bergen und auch am Meer. Ich bevorzuge etwas kühlere Temperaturen, deshalb ist es mir in Basel häufig zu heiss, wenn im Sommer die Hitze nicht mehr aus dem Stadtraum weicht.

 

Glauben Sie, der lange, heisse und trockene Sommer und die Aussicht auf eine Energiemangellage im Winter steigern die Bereitschaft für nachhaltige Veränderungen?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir unsere Gewohnheiten ändern können, wenn wir müssen. Tatsächlich wächst zurzeit ein neues Bewusstsein für Klimaschutz und Ressourcen. Dennoch stellt sich echte Veränderung selten von allein ein: Wir müssen aktiv informieren, sensibilisieren und Anreize schaffen.

 

Welchen Stellenwert hat heute das Klima, wenn es um die Weiterentwicklung Basels geht?

Der Klimaschutz ist eines der drei zentralen Legislaturziele des Regierungsrats. Wo immer möglich müssen wir den CO2-Ausstoss senken und gleichzeitig die Auswirkungen des Klimawandels im Stadtraum mildern. Klimaanpassungen sind nebst dem Klimaschutz entscheidend: Wir müssen die Hitzebelastung mit Bäumen, mobilen Pflanzkübeln, Sprühanlagen oder Sonnensegeln mildern. Als Basis dafür hat der Regierungsrat im vergangenen Jahr ein Stadtklimakonzept beschlossen.

 

Bereits seit 2017 ist es in Basel verboten, neue fossile Heizungen zu verbauen. Ende des letzten Jahres wurde dieses Verbot noch unterstrichen, indem ab 2035 der Betrieb von fossilen Heizungen verboten ist. Dasselbe Energiegesetz kennt eine Photovoltaik-Pflicht für geeignete Neubauten. Sind Verbote und Verpflichtungen das Basler Rezept, um seine Klimaziele zu erreichen?

Wenn wir die Klimaziele rechtzeitig erreichen wollen, können wir nicht allein auf Eigenverantwortung setzen. Es braucht vor allem Anreize. Der Kanton gewährt hohe Förderbeiträge für energetische Sanierungen, effiziente Neubauten und für Anlagen zur Nutzung von erneuerbarer Energie. Aber auch Verbote sind zuweilen sinnvoll. Wenn wir an die Zeit zurückdenken, als es noch keinen Gewässerschutz gab, sind wir wohl alle froh, dass verschmutztes Abwasser heute nicht mehr in den Rhein geleitet werden darf.

 

Basel steht – wie viele andere Städte – vor der Herausforderung, die stark autogeprägte Verkehrssituation zukunftsfähig zu machen. Wie kann das gelingen?

Hinsichtlich Staustunden steht Basel im nationalen Vergleich gut da. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, denn die Bevölkerung wächst und die Arbeitsplätze nehmen zu. Entsprechend müssen wir den ÖV weiter ausbauen sowie an einem lückenlosen Velowegnetz weiterarbeiten. Auch Sharing-Systeme können helfen, den Flächenverbrauch des Verkehrs zu reduzieren, weil Fahrzeuge von mehreren Menschen genutzt werden und weniger lange unbenutzt öffentlichen Raum besetzen. Weiteres Potenzial sehe ich im Bereich Citylogistik, indem wir Lieferungen intelligent bündeln, anstatt schlecht ausgelastete Fahrzeuge durch den Kanton fahren zu lassen.

 

Anpassungen am Verkehrskonzept führen in der Praxis oft zu Fundamentalopposition jener Verkehrsteilnehmer, die Raum oder Privilegien verlieren. Kann dieses Gegeneinander überwunden werden?

Ich beobachte eher, dass dieser Konflikt an Schärfe verliert. Ein Grossteil der Bevölkerung teilt die Ansicht, dass heute das Auto in der Stadt sehr viel Platz einnimmt und dass man diese Flächenaufteilung überprüfen muss. Ich bin überzeugt, dass wir künftig häufiger überlegen müssen, für welche Aufgabe welches Gefährt das passende ist. Neue Angebote wie beispielsweise elektrische Leih-Cargobikes erweitern die Auswahl.

 

Nebst Verkehr und Energieeffizienz ist die Innenverdichtung seit Jahren das grosse Stichwort in der Siedlungsentwicklung. Wie forciert Basel diese Entwicklung?

Wir setzen auf mehrere Pfeiler. Wir konzentrieren uns auf Nutzungsreserven, in dem wir Häuser aufstocken und Dachstöcke ausbauen. Wo städtebaulich sinnvoll, lassen wir auf Basis des revidierten Zonenplans Mehrnutzung zu. An geeigneten Orten wachsen wir entsprechend in die Höhe, bauen also Hochhäuser. Zudem sind wir in der glücklichen Lage, grosse Industrieareale zu haben, die sich im Umbruch befinden. Diese Flächen von mehr als 100 Hektaren stellen Basels grösstes Verdichtungspotenzial dar. Daneben wollen wir aber auch sorgfältig mit dem Bestand umgehen. Sanieren, Erweitern und Weiternutzen kommt in Basel vor Abbruch und Ersatzneubau.

 

Sie sprechen Industrieareale wie beispielsweise das Klybeck an. Welche Faktoren sind entscheidend, um die Entwicklungschancen zu nutzen, die solche Areale bieten?

Weil das Klybeck mitten in der Stadt liegt, ist es wichtig, dass wir dessen Umwandlung gemeinsam mit der Bevölkerung planen. Denn nur eine ausgewogene Lösung erhält die nötige demokratische Unterstützung.

 

Sie haben es in Ihrer bisherigen Amtszeit verschiedentlich erlebt: Bauen im Stadtraum weckt oft Widerstand, weil sich im Stadtraum eben auch stark divergierende Bedürfnisse und Überzeugungen ballen. Wie gehen Sie damit um?

Bauen bedeutet Veränderung. Eine gewisse Skepsis gegenüber Veränderungen liegt in der Natur des Menschen. Deshalb müssen wir noch stärker in Dialog mit den Betroffenen treten und erklären, weshalb ein Projekt notwendig ist und welchen Mehrwert es für die Bevölkerung bringt. Meine Erfahrung ist: Menschen zeigen meist Verständnis, wenn sie die Hintergründe eines Entscheids kennen.

 

Sie gehören der Grünliberalen Partei an, die den Spagat zwischen Ökologie und liberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik macht. Ist dieser Spagat im Alltag einer Exekutivpolitikerin bisweilen schmerzhaft?

Überhaupt nicht. Wir merken immer mehr, dass Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft keine Gegensätze sein müssen. Klimaschutz und die Frage nach dem Umgang mit Ressourcen sind vielmehr Erfolgsfaktoren für die Wirtschaft und die Gesellschaft.

 

Beat Matter

 

 

ZUR PERSON

Esther Keller wurde im Herbst 2020 in die Regierung des Kantons Basel-Stadt gewählt, als schweizweit erstes Mitglied der Grünliberalen Partei (glp). Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2021 steht sie dem Bau- und Verkehrsdepartement vor. Davor politisierte sie seit Frühling 2019 im Basler Grossen Rat. Öffentlich in Erscheinung trat Keller als Moderatorin und Reporterin beim Regionalsender Telebasel, als Mediensprecherin von Novartis sowie als Autorin mehrerer Sachbücher.

 

Über den Autor

pic

Schweizerischer Baumeisterverband

[email protected]

Artikel teilen