«Wir wollen den Vertrag, aber nicht zu jedem Preis»

Am Mittwoch, 10. November und Donnerstag, 11. November 2021 fand im Kongresshaus Zürich die Herbst-Delegiertenversammlung des SBV statt. Im Zentrum der zweitägigen Veranstaltung standen die ergebnislosen Lohnverhandlungen 2022 sowie die im Frühling 2022 beginnen Verhandlungen über den LMV 2023+.

 

In seiner Begrüssungsrede betonte SBV-Zentralpräsident Gian-Luca Lardi, die Unternehmen müssten gegenüber Bauherren auch einmal nein sagen, zum Beispiel nein zu zu tiefen Preisen und zu nicht realistischen Fristen. André Odermatt, seit 2010 Mitglied des Zürcher Stadtrats und Vorsteher des Hochbaudepartements, erläuterte, der Veranstaltungsort, das Kongresshaus Zürich, beweise, wie wichtig das Bauen ist. Es sei 1939 gebaut worden, die Fristen wurden damals sehr sportlich gesetzt und das Baumaterial war sehr knapp. Es brauchte darum kreative Lösungen. Trotz der schwierigen Umstände sei das Kongresshaus für die Stadt Zürich bedeutend. Die Stadt Zürich, meinte Odermatt, habe als öffentlicher Bauherr jahrelang eine halbe Milliarde verbaut und werde weiter intensiv bauen. Wichtig sei der Stadt nachhaltiges Bauen. Odermatt wies dabei auf den Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich hin. Es ist aus Recyclingbeton erstellt, mit CO2-reduziertem Zement. Wichtig war vor allem eine Aussage Odermatts: Die Stadt Zürich schaut bei Vergaben nicht zuerst auf den Preis, aber auf realistische Termine und die Nachhaltigkeit.

 

Arbeitsplätze sichern

Das klare Ziel der Lohnverhandlungen sei es gewesen, Arbeitsplätze zu sichern, betonte Lardi bei den Erläuterungen zu den Lohnverhandlungen 2022. Darauf seien die Gewerkschaften nicht eingegangen, sondern hätten nach dem Giesskannenprinzip mehr Lohn für alle verlangt. Lardi betonte, die Verhandlungsdelegation habe in den Lohnverhandlungen den Standpunkt eingenommen, es solle nicht generell mehr Lohn für alle geben, weil dies so aus den Sektionen gewünscht worden war. Es heisse aber nicht, dass die Branche keine Lohnerhöhungen spreche. «Die Unternehmen haben die Freiheit, nach ihren Möglichkeiten individuell Lohnerhöhungen zu beschliessen. Sie können so etwa gute Leistungen belohnen.» Der SBV erachtet einen individuellen Lohn, der Wertschätzung für die eigene Leistung zum Ausdruck bringt, wichtiger als kollektive Lohnanpassungen im Giesskannenprinzip.

Für den SBV ist es wichtig, dass motivierte und engagierte Mitarbeitende mit individuellen Lohnanreizen und Weiterbildungsmöglichkeiten in die Branche geholt und hier langfristig gehalten und weiterentwickelt werden können.

 

Studie zu möglichen Folgen eines vertragslosen Zustands vorgestellt

Der SBV verfolgt das klare Ziel, im Jahr 2022 einen neuen Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe abschliessen zu können. Sollte für die Arbeitgeber kein zufriedenstellendes Verhandlungsergebnis erreicht werden können, muss die Option eines vertragslosen Zustands ab 2023 ins Auge gefasst werden. An der DV wurde deshalb die Studie «Die Auswirkungen eines Wegfalls des Gesamtarbeitsvertrags im Bauhauptgewerbe» des Basler Wirtschaftsprofessors George Sheldon präsentiert. Sie zeigt, dass im Bauhauptgewerbe ein vertragloser Zustand die Umsätze, die Margen und das Lohnniveau kaum tangieren würde, weil das Obligationenrecht sowie das Entsendegesetz (EntsG) den Bund und die Kantone dazu ermächtigt, in Branchen ohne GAV durch einen Normalarbeitsvertrag verbindliche Mindestlöhne festzulegend. Folglich wäre es aufgrund des EntsG eventuell gar nicht möglich, die Mindestlöhne im Bauhauptgewerbe längerfristig abzuschaffen. Auch die Schutzmechanismen vor ausländischer Billigkonkurrenz würden weitgehend bestehen bleiben.

Sheldon rechnet bei einem vertragslosen Zustand grundsätzlich nicht mit sinkenden, sondern angesichts eines «flexibleren Lohnsystems» eher mit steigenden individuellen Löhnen für Fachkräfte und Leistungsträger.

Die Studienergebnisse stiessen nicht nur bei den Delegierten auf grosses Interesse – dies zeigten die zahlreichen Fragen während der Delegiertenversammlung sowie die angeregten Diskussionen in den Pausen – sondern auch bei den Medien. So berichteten «Tages-Anzeiger» und «L’Agefi» über die Studie und die Tatsache, dass sich der SBV bei den LMV-Verhandlungen auf sämtliche Optionen vorbereitet.

 

Eckwerte für den LMV 2023+ festgelegt

Wie sollen die Verbesserungen aussehen? Die Delegierten definierten dazu drei Eckwerte: Flexiblere Arbeitszeiten, wettbewerbsfähige Lohn- und Lohnnebenkosten sowie einen schlanken LMV. Die Eckwerte wurden von den Delegierten einstimmig und diskussionslos angenommen. Weiter wurde der Wunsch geäussert, dass der neue LMV eine längere Laufzeit haben sollte.

 

Inkrafttreten der revidierten BauAV steht bevor

Ebenfalls intensiv diskutiert wurde die Revision der Bauarbeitenverordnung (BauAV), welche am 1. Januar 2022 in Kraft tritt und diverse Änderungen mit sich bringt. Dank zahlreicher Interventionen – auch des SBV – konnte das Inkrafttreten, das für den 1. Juli 2021 vorgesehen war, also mitten in der Bausaison, immerhin auf den 1. Januar 2022 verschoben werden. Auch in anderen Punkten vermochte der SBV Erfolge zu erzielen. So wird für eine Baustelle neu ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkonzept verlangt, es bestehen aber keine spezifizierten Anforderungen, wie dieses aussehen muss.

Nicht verhindert werden konnte die Herabsetzung der maximalen Absturzhöhe von 3 Metern auf 2 Meter für die Montage von Fanggerüsten. Die Änderung erfolgt, weil neue technische Möglichkeiten bei Wandschalungen es ermöglichen, Gegenseiten von Betoniergerüsten bereits ab einer Absturzhöhe von 2 Metern gegen Absturz gesichert werden können. Hinzu kam das Ziel des Bundesrates, die BauAV an den Stand der Technik anzupassen.

Die Beratungsstelle für Arbeitssicherheit für das Bauhauptgewerbe, kurz BfA, führt zusammen mit den Sektionen Informationsanlässe durch, um Interessierte in die revidierte BauAV einzuführen und konkrete Fragen zu deren Umsetzung zu beantworten. Zusätzlich werden Webinare über Teams angeboten. Termine und Anmeldemöglichkeit finden Sie unter www.bfa-bau.ch.

 

SBV feiert im Jahr 2022 zwei Jubiläen

Weiter wurden alle Delegierten auf das Jubiläumsjahr 2022 hingewiesen. Die Frühjahrs-Delegiertenversammlung vom 5. Mai 2022 im Campus Sursee gilt als Startschuss der sechs Jubiläumstage zu den beiden Jubiläen «125 Jahre SBV» und «50 Jahre Stiftung Campus Sursee». Am Donnerstag, 5. Mai und Freitag, 6. Mai 2022 finden die «Netzwerktage» mit einer Delegiertenversammlung, der Eröffnung der neuen Eventhalle des Campus Sursee, der Generalversammlung des SBV sowie dem Tag der Bauwirtschaft 2022 statt. Es folgen am Samstag, 7. Mai und Sonntag, 8. Mai 2022 zwei Tage der offenen Türen für alle Interessierten aus nah und fern – dies mit vielen Attraktionen und einem Muttertagsbrunch am Sonntag. Den Abschluss der Feierlichkeiten bilden die «Bildungstage» vom Montag, 9. Mai und Dienstag, 10. Mai 2022, an welchen die Zukunft der Bildung in der Bauwirtschaft im Zentrum steht.

 

Die Sheldon-Studie finden Sie hier.

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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