Zweite Gotthardtunnelröhre: Bei der Vergabe zählte die Qualität

Seit Anfang Jahr ist das neue Vergaberecht BöB in Rechtkraft. Die Vergabe der ersten Baumeisterarbeiten bei der zweite Gotthardröhre zeigen, dass die öffentliche Hand offen dafür ist, weg vom Preisdiktat hin zur Qualität.

 

«Den Zuschlag erhielt nicht das preisgünstigste Angebot, ganz im Gegenteil. Obwohl das neue Beschaffungsrecht noch nicht in Kraft war, spielten qualitative Kriterien eine wichtige Rolle.» Das sagt Eugenio Sapia, Astra, Abteilung Strassen Ost, Filiale Bellinzona, zur Vergabe des Loses 243, Zugangsstollen und Logistikausbrüche Nord der zweiten Gotthardtunnelröhre. Die Auftragserteilung erhielt die Arge «secondo tubo» unter der Federführung von Implenia Schweiz AG, zusammen mit webuild S.p.A., Mailand-Italien, csc costruzioni sa, Lugano und Frutiger AG, Thun. Obwohl die Ausschreibung im 2020 erfolgte, also vor der Inkraftsetzung des neuen Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen BöB, galt der Preis bei den Zuschlagskriterien nur zu 40 Prozent. Die Qualität und die Plausibilität des Bauprogramms mit Bauabläufen wurden zu 25 Prozent gewichtet. Der Inhalt und die Qualität der eingereichten Unterlagen zählten 20 Prozent. Das Bauprogramm, schliesslich, zählte bei den Zuschlagskriterien zu 15 Prozent. Das Beispiel belegt, dass die öffentliche Hand offen ist für den Paradigmenwechsel im Beschaffungswesen, weg vom Preisdiktat hin zur Qualität. Natürlich ist damit die Sache noch nicht in trockenen Tüchern. Gerade bei der Umsetzung in den Kantonen gibt es noch Handlungsbedarf, weswegen sich der SBV in dieser Frage engagiert. Man kann aber sagen, dass es in die richtige Richtung geht.

Anders als beim Ceneri 

Ganz anders noch präsentierte sich die Situation bei einem anderen Tessiner Grossprojekt. Am 11. Juni 2009 erfolgte die Vergabe des Rohbau-Hauptloses beim Ceneri Basistunnel an die Arbeitsgemeinschaft Consorzio Condotte Cossi. Dies hatte das wirtschaftlich günstigste Angebot eingereicht. Das Pikante daran: Zum Zeitpunkt der Vergabe hatten die italienischen Behörden einem der Partner, Condotte per l’Acqua spa, das Anti-Mafia-Zertifikat entzogen, weil die Behörden eine Nähe zur kalabresischen Mafiaorganisation ‘Ndrangheta vermuteten. Die Ermittlungen führten im Jahr 2018 dazu, dass Duccio Astaldi, der Präsident von Condotte, verhaftet und unter Hausarrest gestellt wurde. Er soll bei der Vergabe des Autobahnabschnittes zwischen Siracusa und Gela, Italien, Verantwortliche bestochen haben. Zuvor waren fünf von Astaldis engen Mitarbeitenden verhaftet worden. Im gleichen Jahr musste die Condotte-Gruppe in Italien unter Gläubigerschutz gestellt werden, weil dem Bauriesen 2 Milliarden Euro fehlten und er kurz vor dem Bankrott stand. Deswegen schied Condotte im Jahr 2019 aus dem Consorzio aus, das neuformiert wurde mit Cossi und LGV, unter der Federführung von Cossi.

Wie wichtig das Umdenken bei Astra ist, kann mit Zahlen belegt werden: Im Jahr 2020 hat das Astra Aufträge im Wert von über 1,5 Milliarden Franken im offenen Verfahren vergeben, was 77 Prozent des Gesamtbetrages entspricht.

Die Hauptarbeiten an der zweiten Gotthardröhre sollen dieses Jahr starten.

Über den Autor

pic

Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

[email protected]

Artikel teilen