«Grosse Solidarität zwischen Talboden und Bergbevölkerung»

Der Urner Baudirektor Roger Nager erklärt die Herausforderungen beim Bauen in den Bergen und die besondere Bedeutung der Bauwirtschaft in den Bergkantonen.

Der Urner Baudirektor Roger Nager erklärt die Herausforderungen beim Bauen in den Bergen und die besondere Bedeutung der Bauwirtschaft in den Bergkantonen. Roger Nager, der Kanton Uri machte in der Vergangenheit immer wieder mit imposanten Bauprojekten auf sich aufmerksam. Sind Sie ein bisschen stolz?

Ja, eigentlich schon. Im 19. Jahrhundert begannen wir mit der Erschliessung der Pässe und schufen damit wichtige Verbindungen zu unseren Nachbarkantonen. In den 1960er-Jahren folgte der Bau der Nationalstrasse, 1980 wurde der Gotthard-Strassentunnel und im gleichen Jahr der Seelisbergtunnel eröffnet. Damit stellten wir den Anschluss ans Tessin und Norditalien sowie an den Grossraum Luzern/Zürich sicher. Das war aus wirtschaftlicher und touristischer Sicht ein Meilenstein. In den letzten drei Jahrzehnten kümmerten wir uns dann hauptsächlich um den Ausbau und den Ersatz der bestehenden Bauwerke.

Und was steht in den kommenden Jahren an?

Noch einige Zeit am Laufen sind der Bau der zweiten Gotthardröhre und der Bau der A4 Neuen Axenstrasse. Mit diesen Projekten können wir die Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer massiv erhöhen. Demnächst läuft das Hochwasserschutzprojekt aus. Hier müssen wir in den nächsten Jahren zusätzliche Mittel bereitstellen. Ebenso für den Unterhalt des 153 km langen Kantonsstrassennetzes, das stark unter den extremen Wetterverhältnissen leidet. Kurzfristig kommen immer wieder kleinere Aufträge wie etwa Felssicherungen oder das regelmässige Leeren der Geschiebesammler hinzu. Das kann man nicht planen, und deshalb sind auch die Investitionen schwer zu beziffern.

Damit sprechen Sie die Naturgefahren an, die im Kanton Uri grösser sind als andernorts, oder?

Richtig. Die Hochwasserereignisse in den Jahren 1977, 1987 und 2005, in denen der Kanton Uri besonders stark betroffen war, verursachten einen Schaden von über 1 Mrd. Franken. Daraufhin setzten grosse Firmen wie Dätwyler oder Ruag Druck auf, damit der Kanton etwas unternimmt. Mein Vorgänger rief daraufhin ein Hochwasserschutzprogramm für rund 160 Mio. Franken ins Leben. Das wurde schrittweise umgesetzt. Mit Erfolg. Die letzten Jahre haben gezeigt: Mit den Massnahmen konnten wir mehrfach Grossereignisse auffangen. Beunruhigend ist aber schon, dass die Ereignishäufigkeit und die Intensität der Niederschläge von Jahr zu Jahr steigen.

Worauf führen Sie das zurück?

Der Hauptgrund ist sicher die globale Erwärmung. Der damit verbundene Rückgang des Permafrosts und die Gletscherschmelze führen immer wieder zu Murgängen, Steinschlägen und Felsstürzen. Im Winter sind es vor allem die Lawinen, die uns Sorgen machen. Klar, wir leben in einem Gebirgskanton. Deshalb müssen wir mit diesen Herausforderungen leben. Aber Fakt ist auch, dass sie uns das ganze Jahr über grosse Unterhaltsarbeiten bescheren. Für die nächsten Jahre sind deshalb Mehrinvestitionen nötig.

Die Menschen hier wünschen sich eine Perspektive zum Leben und zum Arbeiten. Die wollen wir ihnen geben.

Roger Nager
Regierungsrat und Baudirektor des Kantons Uri

Auch der Zugang zu schnellem Internet ist eine Herausforderung für die Infrastruktur in den Berggebieten …

Der Kanton Uri ist nicht etwa eine digitale Brache, wie viele denken. In Sachen Internetabdeckung sind wir sehr gut aufgestellt. Die Umstellung auf 5G verlief im Kanton Uri ohne Probleme. Unsere Herausforderung besteht vor allem darin, dass der digitale Anschluss nicht nur im Urner Talboden gewünscht wird, wo 80 Prozent der Urner Bevölkerung leben. Auch die abgelegenen Seitentäler brauchen ein sicheres Netz. Einerseits für die Schulen und Unternehmen, andererseits für die Bevölkerung und die Gäste. Schliesslich will man heute auch beim Skifahren und beim Klettern eine gute Netzabdeckung. Glücklicherweise ist die Opposition gegenüber neuen Technologien im Kanton Uri gross mehrheitlich positiv. Das hat sicher auch damit zu tun, dass im Kanton Uri eine gesunde Solidarität herrscht.

Eine Herausforderung ist auch die Energieversorgung für die nächsten Jahre, nicht?

Natürlich, wie überall auf der Welt. Ich denke, dass wir da in einer guten Position sind. Vor allem dank unserer Wasserkraft. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass über 40 Prozent des schweizerischen Bahnstroms im Kanton Uri produziert werden. Das Wasser und die daraus entstehende Energie wird für uns auch in Zukunft im Vordergrund stehen. Daneben haben wir unseren Windpark auf Gütsch ob Andermatt, mit dem wir zusätzliche Energie gewinnen können. Die Gewinnung von Solarenergie beschränkt sich hingegen auf den Gebäudebereich. Wer neu baut, soll künftig Solarpanels aufs Dach montieren müssen. Bei grossflächigen Anlagen sind wir hingegen eher zurückhaltend mit Vorgaben.

Welche Bedeutung hat die Bauindustrie für den Kanton Uri?

Eine grosse. Die Bauwirtschaft ist einer der wichtigsten Arbeitgeber im Kanton und generiert eine riesige Wertschöpfung. Gleichzeitig bilden die Bauunternehmen zahlreiche Lernende aus. Das ermöglicht uns, die junge Bevölkerung im Kanton zu behalten. Diesbezüglich sind wir froh, dass der Baumeisterverband ein intensives Lehrstellenmarketing betreibt und alles daran setzt, das Image der Bauberufe zu verbessern. Denn wir brauchen auch in Zukunft Leute, die unsere Bauprojekte umsetzen. Die Menschen hier wünschen sich eine Perspektive zum Leben und zum Arbeiten. Die wollen wir ihnen geben. Und dabei spreche ich nicht nur von den Einheimischen. Wir haben auch zahlreiche Pendler aus dem Tessin oder der Deutschschweiz, die im Kanton Uri ihren Lebensunterhalt verdienen. Sei es im Kantonsspital, bei Andermatt SwissAlps, bei der Dätwyler AG, aber auch bei zahlreichen KMUs.

Sie haben die Kompetenz der Urner Bauunternehmen angesprochen. Was können Sie als Baudirektor tun, um einheimisches Schaffen zu unterstützen?

Natürlich sind wir bei der Auftragsvergabe dem öffentlichen Beschaffungswesen unterstellt. Aber dort, wo wir einheimische Unternehmen berücksichtigen können, tun wir das selbstverständlich. Wir führen regelmässig Gespräche mit dem Baumeisterverband und mit der Bauwirtschaftskonferenz des Kantons Uri. Dort werden die Anliegen besprochen. Wir machen auch immer einen Rück- und Ausblick, damit sich die Unternehmen vorbereiten können auf das, was ansteht. Dass wir beim Neubau Kantonsspital Uri rund 65 Prozent der Arbeiten an Urner Firmen vergeben konnten, ist sehr erfreulich. Und es zeigt doch, dass unsere Unternehmen wettbewerbsfähig sind und im Markt bestehen können. Gerade im Bereich Felsräumung oder Felssicherung haben wir einige spezialisierte Baufirmen. Dank ihnen konnten wir in der Vergangenheit anspruchsvolle Bauprojekte wie etwa die Wasserkraftwerke in Bristen, Bürglen und Erstfeld ausführen.

 

Interview: Alex Piazza

Zur Person

Roger Nager (52), aufgewachsen und wohnhaft in Andermatt, ist seit 2016 Regierungsrat und Baudirektor des Kantons Uri. Zuvor war der gelernte Elektroinstallateur stellvertretender Betriebsleiter des EW Ursern und erwarb 2003 das Höhere Wirtschaftsdiplom HWD/VSK. 2011 wurde der FDP-Mann zum ersten vollamtlichen Gemeindepräsidenten von Andermatt gewählt. Erholung findet Nager in der Natur, beim Lesen und wenn er mit Freunden und Bekannten bei einem guten Essen über Gott und die Welt reden kann.

Über den Autor

pic

Schweizerischer Baumeisterverband

[email protected]

Artikel teilen