«Ich war erstaunt, wie wenig Banker von der Baubranche verstanden»

Martin Neff, Ex-Chefökonom von CS und Raiffeisen, hat sich mit pointierten Analysen der Wirtschaft einen Namen gemacht. Im vergangenen Jahr gab er sein Amt ab. Doch von Ruhestand will der 63-Jährige nichts wissen.

Als Martin Neff, Chefökonom der Credit Suisse und der Raiffeisen Gruppe, 2023 sein Amt abgab und sich in den Ruhestand verabschiedete, ging ein Bedauern durch die Bankenwelt: Neff hatte sich mit pointierten Analysen der Wirtschaft einen Namen gemacht und eine schillernde Karriere hinter sich. Mit 18 Jahren, aufgewachsen in Konstanz (D), verlässt er das Elternhaus Richtung Kreuzlingen TG.

Nach dem Studium der Volkswirtschaft landet er 1988 beim Schweizer Baumeisterverband. «Ich bin in eine Branche eingestiegen, die sich damals auf Rekordhoch bewegte. Alles war Superlativ: Umsätze, Margen, Auftragspolster und Bauvolumen. Ein nie wieder erreichter Boom. Es heisst, man sollte die Party verlassen, wenn es am schönsten ist. Das war leider nicht der Fall und so erlebte ich nicht nur den Höhenflug, sondern auch den Absturz der Branche hautnah mit.» Der Verband sei damals ein starker Lobbyist für die Branche gewesen, der manchmal leider auch die Augen vor den Realitäten schloss. «So wurde vehement bestritten, die Branche, sei überhitzt, ob wohl dies der Fall war und der darauffolgende Immobiliencrash wurde massiv unterschätzt», sagt er.

Ende 1992 wechselte er zum Economic Research der Credit Suisse, dass er ab 2008 als Chefökonom leitete, 2013 wurde er Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. Welche Erlebnisse prägten ihn? «Ich stieg bei der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) im Herbst 1992 ein, mitten im Immobiliencrash und war erstaunt, wie wenig die Banker von der Bau- und Immobilienbranche verstanden. Das war meine Chance, einen Immobilienmarktresearch aufzubauen, der auch heute noch State of the Art im Banking ist.»

Neff ist überzeugt, dass ein guter Ökonom nebst analytischen Fähigkeiten vor allem ein breites Wissen und Kommunikationstalent braucht. «Oft gilt es, nicht die nackte Zahl, sondern komplexe Zusammenhänge zu erläutern», sagt er. Im Idealfall so, dass auch Laien etwas davon verstünden. Wo hat er sich bei seinen Prognosen geirrt? «Ich hätte nie erwartet, dass die Schulden der Staaten derart explodieren könn(t)en, wie dies inzwischen der Fall ist, ohne dass es zu einem Systemkollaps kommt. Noch viel weniger hätte ich damit gerechnet, dass die Geldpolitik gezwungen sein würde, den Kollaps zu verhindern, indem sie den Weg Richtung der in der klassischen Lehre verschmähten und eigentlich illegitimen Monetarisierung der Staatsschulden einschlägt.»

Neff ist nicht der Typ, der in Pension geht und nur noch mit seinem Hund spazieren geht. Nach über 30 Jahren im Banking wollte er etwas komplett Neues machen. Das Startup Lokavor war die Antwort. «Wir bringen damit lokale Detailhändler – vorerst Foodanbieter – dahin, wo heute ihre Kunden sind, auf das Smartphone. Wir digitalisieren den kleinen Retailer, verschaffen ihm die Möglichkeit für einen Auftritt im Netz und einen Onlineshop und noch vieles mehr mit nur wenigen Handgriffen und zu einem Preis wie ein Netflix-Abo.»

Autor: Werner Schüepp

Tag der Bauwirtschaft

Martin Neff wird als einer der Gastredner am Tag der Bauwirtschaft am 28. Juni 2024 in Zürich-Oerlikon. Weitere Informationen zum Anlass und zur Anmeldung erfahren Sie hier.

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Schweizerischer Baumeisterverband

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