«Die Schweiz muss sich ein neues Aussehen geben»

#VorreiterDerBaubranche: Bernhard Salzmann, Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands, über die Gamechanger der Branche sowie die Notwendigkeit, den bestehenden Gebäudepark zu modernisieren, um die Klimaziele erreichen zu können.

#VorreiterDerBaubranche: Bernhard Salzmann, Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands, über die Gamechanger der Branche sowie die Notwendigkeit, den bestehenden Gebäudepark zu modernisieren, um die Klimaziele erreichen zu können.

Vom Baumeisterverbands (SBV) wurde die Agenda 125.0 lanciert, die auf drei Säulen basiert: Modernisierung des Gebäudeparks, Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur sowie Potenzialförderung peripherer Regionen. Ihre Ambitionen?

Bernhard Salzmann: Anlässlich unseres Jubiläums haben wir analysiert, wo wir als Branche tatsächlich auf grundlegende Entwicklungen und gesellschaftliche Fragen Einfluss nehmen und einen positiven Beitrag leisten können. Dies haben wir in der Agenda 125.0 hervorgehoben. Um die Klimaziele zu erreichen, das knapper werdende Bauland zu schonen und der Bevölkerung den benötigten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, muss der Gebäudepark modernisiert werden. Dieser ist überaltert und dadurch für fast die Hälfte des Energiebedarfs und einen Viertel des CO2-Ausstosses der Schweiz verantwortlich. Das Potenzial ist hier gross und von einem Gamechanger zu sprechen wohl nicht falsch.

Darüber hinaus?

Ein zweiter wesentlicher Teil sind die Fachkräfte. Die Baubranche ist eine der grössten Arbeitgeberinnen der Schweiz. Die Inhalte und Aufgaben des Bauhauptgewerbes befinden sich heute im Wandel. Dank moderneren Geräten und der Digitalisierung ist der Bauberuf im Vergleich zu früher physisch weniger intensiv. Wer etwa Maurerin oder Verkehrswegbauer ist, muss nicht nur anpacken können, sondern auch Ausführungspläne lesen und sie mit traditionellem Handwerk und modernsten Maschinen und Geräten umsetzen können – dadurch steigt die Attraktivität der Bauberufe.

Welche der drei Säulen ist die relevanteste und wo besteht am meisten Handlungsbedarf?

Das ist sicher der Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit. Man muss nur die Bilder der letzten Wochen anschauen, die von schmalen Skipisten in sonst grünen Landschaften geprägt waren. Dass sich das Klima verändert, ist omnipräsent. Ich bin privat häufig im Gebirge unterwegs und kann den Gletscherschwund eindrücklich beobachten. Hier hat die Bauwirtschaft eine sehr greifbare und klare Antwort: Der Gebäudepark muss modernisiert werden, und zwar attraktiv sowie bodenschonend.

Was heisst das konkret?

Das Raumplanungsgesetz sieht vor, dass weniger auf grüner Fläche, sondern mehr in bereits bebauten Gebieten Gebäude und Quartiere optimiert werden. Dies ist der Ansatz der Innenverdichtung. Die Bauwirtschaft ist in der Lage, gemeinsam mit Auftraggebern und Planern Lösungen zur Innenverdichtung zu erarbeiten, die zum Wohnen attraktiv und trotzdem bezahlbar sind. Nur wenn wir es schaffen, bestehende Strukturen, die nicht mehr modern und energieeffizient sind, durch bezahlbare Neubauten oder umfassende Sanierungen zu ersetzen, wenn man ganze Strassen oder sogar Quartiere neu planen kann, kann die Innenverdichtung richtig wirken. Dies bedeutet, mit guter Ausnutzung und entsprechender Planung im Bereich «Ressourcen» Boden zu schonen, im Bereich «Klima und Energie» die Umwelt zu schützen und den «bezahlbaren Wohnraum» dort entstehen zu lassen, wo man ihn braucht, nämlich insbesondere in den Agglomerationen und Städten.

In der Schweiz ein ganzes Quartier neu zu planen scheint – mit Ausnahme des Hochschulquartiers in Zürich – relativ anspruchsvoll.

Es gibt weitere Beispiele, die sehr erfolgreich sind. Zürich ist eine Stadt, die ziemlich prominent vorwärtsgeht, doch auch in anderen Städten gibt es erfolgreiche Projekte, bei denen man nicht nur das einzelne Gebäude anschaut oder auf einer bestehenden Substanz saniert oder baut, sondern über mehrere Parzellen hinweg etwas Neues entstehen lässt. Anlässlich unseres Jubiläums haben wir Beispiele in Bern, in der Zentralschweiz, in der Romandie und in Basel aufbereitet. Neues entstehen und Wandel zuzulassen ist ein zentraler Aspekt von Baukultur: Die Schweiz muss wandlungs- und reformfähig bleiben, sich ein neues Aussehen geben und das Bauen so einsetzen, dass man punkto Klimabelange wirklich vorwärtskommt. Es reicht nicht, dass man zwar darüber spricht, die Realisierung dann aber immer wieder an Einsprachen scheitert.

Ein gutes Beispiel für Innenverdichtung?

Paris: Niemand würde diese Stadt als hässlich bezeichnen, das Gegenteil ist der Fall. Und doch haben die Gebäude dort in der Regel ein bis zwei Stockwerke mehr als in der Schweiz. Diejenigen Kritiker, die immer wieder verlauten lassen, Innenverdichtung würde nicht zu unserem Land passen, sehen vielleicht eine Skyline wie in Dubai vor dem Berner Münster – das ist nicht der Schweizer Weg. Mit einer Entwicklung wie in Paris hätte man aber viele der angesprochenen Gamechanger in greifbarer Nähe.

Es ist nicht so, dass Ersatzbauten in jedem Fall die beste Lösung sind. Dies hängt stark vom jeweiligen Projekt ab.

Nur spielt bei uns der Denkmalschutz nicht mit.

Der Dialog mit den Denkmalschützern wird an Bedeutung gewinnen. Baukultur heisst nicht, nur Gestriges erhalten zu wollen. Baukultur heisst auch, Wandel zu ermöglichen. Im Moment haben wir in der Schweiz einen übertriebenen Denkmalschutz mit langen Inventarlisten. Wenn Baukultur aber neben Altem auch Neues fördert und es verstärkt eine Balance zwischen einem sinnvollen, verhältnismässigen Denkmalschutz auf der einen Seite und modernen Bauten auf der anderen Seite gibt, sind wir auf dem richtigen Weg. Natürlich muss jedes Projekt individuell angeschaut werden, man kann nicht alles über denselben Kamm scheren. Im Grundsatz müssen wir mehr ermöglichen als verhindern.

Was macht die Baubranche denn aktuell, um die Klimaziele zu erreichen?

Wenn man sieht, dass rund ein Viertel des gesamten CO2-Ausstosses in der Schweiz über den Gebäudepark geht, ist es der direkteste Ansatz, diesen zu renovieren und modernisieren. Dadurch würden rund 25 Prozent der aktuellen Emissionen wegfallen. Im Moment haben wir eine Sanierungsquote von unter 1 Prozent. Nur wenn wir diese auf 2 bis 3 Prozent steigern können, erreichen wir die ambitionierten Klimaziele bis 2050. Daran arbeiten wir. Es handelt sich dabei nicht um eine theoretische Diskussion, sondern um einen ganz klaren, pragmatischen Ansatz der Bauwirtschaft, die hier als Schlüsselbranche agiert.

Welche weiteren Hürden gibt es?

Neben den regulatorischen Hürden ist dies sicher die Umsetzungskompetenz der Gesellschaft. Wenn wir in der Schweiz den Boden schonen und die Landschaft erhalten möchten, müssen wir in Zukunft verstärkt an Orten bauen, an denen schon etwas steht. Dafür muss sich unsere Gesellschaft aber weg von der momentanen Zögerungs-, Verhinderungs- und Einsprachekultur wegbewegen – hin zu einer Umsetzungskultur. Nur so ist ein nachhaltiger Gebäudepark möglich.

In der Schweiz sind rund 1,5 Millionen Gebäude sanierungsbedürftig, weil sie eine schlechte Energieeffizienz aufweisen. Der SBV propagiert ökologische Ersatzbauten. Dies wird von verschiedenen Seiten kritisiert, weil beim Bau von neuen Gebäuden sehr viel CO2 freigesetzt wird. Ihre Replik?

Es ist schon nicht so, dass Ersatzbauten in jedem Fall die beste Lösung sind. Dies hängt stark vom jeweiligen Projekt ab. Was uns wichtig ist, dass man die offensive Modernisierung des Gebäudeparks ernst nimmt. Je nachdem kann eine Sanierung auf einer bestehenden Substanz sehr viel sinnvoller sein. Es ist keine Frage der Methodik und der Materialien, sondern dass die Instrumente «Ersatzneubauten», «Gesamtsanierung» und «Teilsanierung» als gleichwertige Möglichkeiten geprüft werden. Wenn man die Kriterien «Bodenschonung», «Erreichung der Klimaziele» und «Erhaltung der Qualität» ernst nimmt, wird man aber bei vielen Projekten zum Schluss kommen, dass Ersatzneubauten, die den Gegebenheiten angepasst werden, eine andere Aufteilung und eine bessere Ausnutzungsziffer haben, einen Mehrwert gegenüber Sanierungen aufweisen. Es ist mir wirklich ein Anliegen, dass es nicht unser Ziel ist, das eine Instrument gegen das andere auszuspielen.

Wie sieht die mittelfristige Zukunft der Baubranche aus?

Aufgrund der konjunkturellen Prognosen gehen wir davon aus, dass in der Schweiz weiterhin ein recht hoher Bedarf an Bauarbeit bestehen wird. Die Forderungen von Wirtschaftsminister Guy Parmelin, die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau zu verbessern und der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken, bestätigen, dass die Branche auch in Zukunft wichtig bleibt.

Können Sie Ihre Vision 2050 in einem Satz formulieren?

Bis zum Jahr 2050 hat das Bauhauptgewerbe als attraktiver Arbeitgeber einen wesentlichen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme in den Bereichen Mobilität, Klima, Nachhaltigkeit und Energie geleistet.

Dieser Artikel ist im Rahmen der NZZaS-Verlagsbeilage «Zukunft Bauen» am 29. Januar 2023 erschienen. Inhalt realisiert durch NZZ Content Creation in Kooperation mit Brand Relations.

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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