«Im Tunnelbau muss man in alternativen Lösungen denken»

Hanspeter Stadelmann, Head Central Services der Division bei Implenia Civil Engineering und Zentralvorstand Schweizerischer Baumeisterverband SBV, erläutert, wie es Implenia schafft, komplexe Tunnelprojekte erfolgreich zu realisieren.

 

Schweizer Bauwirtschaft: Erfolgreicher Tunnelbau für Schiene und Strasse verlangt nach einer Erfahrung mit der Materie und dem Respekt vor der der Natur, zudem ist auch das Beherrschen moderner Technik gefragt. Wie wichtig ist die Digitalisierung, speziell BIM und Lean Management.

 

Insbesondere im Tunnelbau ist es sehr wichtig, gut vorbereitet zu sein und stets in alternativen Lösungen zu denken. Nur so können bei wechselnder Geologie oder sonstigen Überraschungen schnell und effizient die richtigen Massnahmen getroffen werden. Digitale Modelle helfen uns, die Herausforderungen besser zu verstehen und allen Beteiligten transparent aufzuzeigen. Die digitale, modellbasierte Arbeitsweise mit durchgängigen Daten wird immer wichtiger. Projekte können mittels BIM, Lean Construction sowie Digitalisierung agiler abgewickelt und stufengerecht geführt werden unter Einbezug aller Beteiligter. Idealerweise sollten dabei alle Projektbeteiligten und insbesondere auch die ausführenden Unternehmen so früh wie möglich involviert werden, um optimale Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu finden. Für die Bauherrschaft stehen die Nutzung des Bauwerks im Zentrum und die Kosten über den gesamten Lebenszyklus; für die ausführenden Unternehmen hingegen sind die technischen Fragen des Baus wichtig. Ich bin überzeugt, dass wir das Potenzial der digitalen Arbeitsmethoden noch nicht ausgeschöpft haben: Die Digitalisierung wird Bauunternehmen helfen, neue, zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln.

 

Implenia hat die Digitalisierung schon früh vorangetrieben. Hat sich das gelohnt?

Ja, Implenia baut seine digitalen Tools und die entsprechende Arbeitsweise schon seit längerer Zeit intensiv aus. Dank einer hervorragenden IT-Infrastruktur können wir überall mobil arbeiten, sei es auf der Baustelle, im Büro, unterwegs oder im Home-Office. Zudem sind wir aktuell dabei, ein integriertes ERP-System für die ganze Gruppe auszurollen. Die gruppenweite, integrierte und harmonisierte Nutzung der Daten wird uns wieder einen Schritt weiterbringen. Am wichtigsten sind aber die digitalen Anwendungen auf unseren Projekten, mit denen wir unsere Arbeit bezüglich Qualität, Effizienz sowie Einhaltung von Kosten und Terminen verbessern.

 

Implenia war beim Bau des Gotthard-Basistunnels mitbeteiligt. Mit 57 Kilometern ist er der weltweit längste Eisenbahntunnel. Mit dem Brenner-Basistunnel entsteht nun die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt für den Personen- und Güterverkehr. Auch bei diesem Projekt wurden Implenia Arbeiten zugesprochen. War es bei dieser Vergabe ein Vorteil, dass Implenia das Gotthard-Projekt als Referenz vorzeigen konnte?

Für uns ist die beim Gotthard-Basistunnel gewonnene Erfahrung nach wie vor wichtig. Wir sind sehr stolz, dass wir federführend bei Teilprojekten mitarbeiten durften - und ja, selbstverständlich ist das für uns auch als Referenz wichtig. Unsere langjährige Erfahrung im Tunnelbau hilft uns nicht nur dabei, Aufträge zu gewinnen, sondern auch bei der Ausführung der Projekte. Übrigens sind wir das einzige Unternehmen, das an allen vier aktuellen Alpentransversalen beteiligt ist, und zwar am Gotthard, Brenner, Semmering sowie Lyon-Turin.

 

Welches Prestige geniesst die Schweizer Baukompetenz im Ausland?

Leider sind nur wenige Schweizer Bauunternehmen im Ausland tätig. Generell wird aber die Schweizer Baukompetenz mit ihrer gelebten Sicherheitskultur, hohen Qualität, partnerschaftlichen Arbeitsweise sowie der offenen, lösungsorientierten Kommunikation sehr geschätzt. Mittlerweile erwirtschaftet Implenia einen wichtigen Teil des Umsatzes im Ausland.

 

Bauen ist ein regionales Geschäft. Implenia ist dennoch international unterwegs. Warum?

In der Schweiz und in Deutschland sind wir mit unserem umfassenden, integrierten Leistungsportfolio aller vier Divisionen tätig. In weiteren Märkten bieten wir Tunnelbau und damit verbundene Infrastrukturprojekte an. Wir fokussieren uns auf unsere Kernkompetenz – die Leitung und Abwicklung grosser, komplexer Projekte – als multinationaler Bau- und Immobiliendienstleister können wir das meiste aus einer Hand anbieten und so von einer integrierten Arbeitsweise profitieren. Die regionale Verankerung ist und bleibt aber im Bau wichtig, da jeweils erhebliche Anteile regional abgewickelt werden.

 

Es gibt in der Schweiz immer wieder interessante Tunnelbauprojekte, aber dazwischen gibt es Pausen. Helfen die Projekte im Ausland Implenia, dass Fachkräfte nicht abspringen, sondern weiterbeschäftigt werden können?

Weil im Tunnelbau hoch-spezialisierte Expertise benötigt wird, sind die Arbeitsgruppen bestehend aus Bauführern, Polieren und Mitarbeitenden üblicherweise international auf Projekten unterwegs. Leider sind Schweizer Kaderleute eher weniger bereit, ins Ausland zu gehen. Deutsche oder österreichische Fachkräfte sind diesbezüglich flexibler. Mineure werden meist in Gruppen und vor Ort rekrutiert. Aus diesem Grund haben wir in jedem Land, in dem wir tätig sind, auch entsprechende Geschäftseinheiten mit eigenen Mitarbeitenden aufgebaut. Innerhalb der Gruppe sind diese aber vernetzt und tauschen Know-how aus.

 

Innovationen sind für den Erfolg wichtig. Wie stellt Implenia sicher, dass die Mitarbeitenden innovativ bleiben?

Innovation ist sehr wichtig für den Erfolg unserer Projekte sowie auch für die Entwicklung von Implenia als Unternehmen. Um innovative Lösungen zu finden und umsetzen, arbeiten wir mit externen Partnern wie Start-ups oder Hochschulen zusammen, evaluieren entsprechende Akquisitionsmöglichkeiten und fördern Ideen unserer Mitarbeitenden mit unserem internen Innovation Hub. Aus diesen Ideen sind bereits mehrere neue Produkte inhouse entwickelt worden, die kurz vor der Marktreife stehen.

 

Im Infrastrukturbau baut Implenia häufig für öffentliche Bauherren. Kürzlich hat im Beschaffungsrecht ein Paradigmenwechsel stattgefunden, weg vom Preisdruck hin zum Qualitätswettbewerb. Sind die neuen Kriterien den Bauherren schon präsent?

Auf Bundesebene schon, auf kantonaler Ebene ist vieles am Tun, die Gemeinden sind für die neue Thematik  noch zu wenig sensibilisiert. Grosse Beachtung findet das Zuschlagskriterium Nachhaltigkeit: Uns freut das, weil wir seit vielen Jahren mit grosser Überzeugung auf Nachhaltigkeit setzen und in diesem Bereich branchenführend sind. Einen Qualitätswettbewerb soll es in dem Sinne geben, dass dasjenige Unternehmen den Zuschlag erhält, das die verlangte Qualität optimal sicherstellt. Leider gibt es heute aus Unternehmenssicht unzählige verschiedene Herangehens- und Beurteilungsweisen: Eine weitgehende Standardisierung wäre wünschenswert, um die Effizienz zu steigern, was übrigens auch für die modellbasierte Arbeitsweise gilt.

 

Haben öffentliche Bauherren aufgrund der diffizilen derzeitigen Situation – Materialteuerung oder Energiekrise, zum Beispiel – Bauprojekte zurückgestellt?

Implenia hat einen sehr hohen Auftragsbestand, der vor allem aus grossen, komplexen Projekten besteht. In den Bereichen, in denen wir tätig sind, haben wir bisher keine wesentlichen Verzögerungen festgestellt. Mit der Agenda 125.0 sensibilisiert der SBV die öffentlichen Bauherren dafür, dass es wichtig ist, Bauprojekte tatsächlich zu realisieren und sie nicht auf die lange Bank zu schieben. Leider ist es in einzelnen Regionen zu Verzögerungen gekommen.

 

Investiert die Schweiz genug in ihre Infrastruktur?

In der Schweiz sieht man viele Baustellen und daher kann das Gefühl entstehen, es würde viel gebaut. Allerdings ist es so, dass unsere Infrastruktur, Schiene sowie Strasse, immer intensiver genutzt wird. Eine funktionierende Infrastruktur ist die Lebensader der Schweiz, um unsere Mobilität, aber auch die Versorgung mit Gütern und Energie sowie die Erschliessung sicherzustellen. Aktuell gibt es immer mehr Stau: Es wäre schön, wenn man die Infrastruktur ausbauen könnte, um Nadelöhre zu entschärfen. Betrachtet man jedoch das Alter und die intensive Nutzung unserer Infrastruktur, werden Betrieb, Unterhalt und Erhaltung sehr wichtig bleiben. Die Politik, die zuständigen Ämter und die Wirtschaft sind gefordert, die notwendigen Mittel, Kapazitäten und Kompetenzen bereitzustellen damit wir hier keine Abstriche machen müssen.

 

Hanspeter Stadelmann

 

Hanspeter Stadelmann ist studierter Bauingenieur ETH und seit 2015 Head Central Services der Division Civil Engineering von Implenia. Beim SBV ist er Zentralvorstand und vertritt die Interessen der überregionalen Bauunternehmen.

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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