«Wenn man eine neue Baustelle eröffnet, entsteht eine Familie.»

Schon als kleines Mädchen in Algerien erstellte Monia Bettache gern Modelle. Sie fühlte sich schon immer zum Handwerk und zum Baugewerbe hingezogen. Nach einem Masterabschluss als Ingenieurin an der EPFL ist sie heute bei Implenia als Bauführerin und Projektleiterin tätig. Gespräch mit einer Frau, die vor Begeisterung nur so sprüht.

 

Auf einen Blick ist klar, dass sie sich auf der Baustelle wie ein Fisch im Wasser fühlt. Die Rede ist von Monia Bettache, Bauführerin und Projektleiterin bei Implenia, auf dem Weg zu «ihren Arbeitern», quer durch die Westschweiz von Genf durch den Kanton Waadt bis ins Wallis. «Ich bin ein wenig durch Zufall zum Bauen gekommen. Aber seither ist es mir in Fleisch und Blut übergegangen», erklärt sie mit ihrem charmanten Akzent und südländischer Offenheit.

Eine Vorreiterin

Charakter und Durchsetzungsvermögen brauchte die heute 40-jährige Frau, als sie vor einigen Jahren im Rohbau ins Berufsleben einstieg. In diesem Metier waren Frauen damals fast ausschliesslich als Assistentinnen tätig. «Aber schon als Kind interessierte ich mich für eher physische Aufgaben, bei denen man anpacken muss. Und mir liegen Herausforderungen. Ich stamme aus Algerien und wollte nach dem Ingenieurstudium an der EPFL im Baufach arbeiten. Bis zum Einbau der Gebäudetechnik und zum Bauabnahmeprotokoll. Das war der Fall auf der Baustelle Beaulieu in Lausanne mit ihren Hallen, eine tolle, unvergessliche Erfahrung. Und es folgten weitere, noch interessantere Projekte», strahlt sie über das ganze Gesicht.

©SBV

Faszination Hochbau

Monia Bettache blüht in ihrem Beruf richtig auf und spricht voller Begeisterung darüber: «Wissen Sie, wenn Sie mit einem Gebäude beginnen, ist das wie ein Baby: Sie wollen, dass es gross wird, und erleben mit, wie es wächst. Und wenn es dann eines Tages fertig ist und ich daran vorbeigehe und sehe, wie Menschen darin wohnen, bedeutet das für mich einen unglaublichen Erfolg, der mich wirklich sehr glücklich macht. Man weiss ganz genau, wie das Bauwerk entstanden ist. Und man macht weiter bis zur Pensionierung oder sogar noch länger. Ich kenne Leute, denen es so geht. Man kann gar nicht mehr aufhören.» Mona ist eine zierliche Frau und musste sich in ihrem Beruf zuerst einen Platz erarbeiten. «Wenn ich an einem Tisch die einzige Frau bin, muss ich zeigen, dass ich Profil habe. Wenn man mir eine Frage stellt und ich die Antwort weiss, dann antworte ich. Wenn ich sie nicht weiss, sage ich das auch. Das ist ja keine Schande. Und das gilt für Frauen ebenso wie für Männer. Ich bin wie die Schweizer Demokratie, direkt und transparent», erzählt sie mit schallendem Lachen.

Vorteile als Frau

Sieht sie auch Unterschiede in der Art, wie ein Mann und eine Frau einen Bau führen? «Im Grunde genommen nein, wir haben ja einen genauen Zeitplan für die Arbeiten, den Baubeginn und die Bauabnahme. Aber wenn ich ins Detail gehen müsste, könnte ich vier nennen: eine umfassendere, globalere weibliche Projektanalyse, die Fähigkeit zur Erledigung mehrerer Aufgaben gleichzeitig, eine regelmässigere Kommunikation und schliesslich keine Angst vor Herausforderungen. Aber was mich bei meinen zwischenmenschlichen Kontakten auf der Baustelle am meisten beeindruckt, ist, dass ich als Frau von den Arbeitern echt verwöhnt werde. Vermutlich erinnere ich sie an ihre Frauen und Töchter. Manche meinen auch, ich sei zu zerbrechlich, um die Baustelle zu betreten, um mir die Sicherheitsschuhe anzuziehen. Ich habe den Eindruck, gewisse Männer fühlen sich unwohl, uns hier zu sehen. Das löst bei ihnen eine Art Schutzgefühl aus. Und beim Grillen werden wir Frauen immer zuerst bedient. Das ist allerdings schön. Diese Erfahrung muss man einfach gemacht haben. Ich komme mir vor wie eine Prinzessin auf der Baustelle», lacht sie laut heraus.

Digitalisierung ja, aber …

Ich komme darauf zu sprechen, dass der SBV derzeit ihren Beruf – Bauführerin – und auch die anderen Bauberufe modernisiert, und komme unter anderem auf die digitalen Komponenten zu sprechen. Hier unterbricht mich Monia Bettache und gibt zu bedenken, sie habe nichts gegen die Digitalisierung, denn damit könne man Zeit gewinnen, aber: «Die Baustelle bleibt eine Baustelle. Schmutzige Hände kann man nicht durch Software ersetzen. Es braucht einen Polier, ein Team und Solidarität.» Und weiter: «Die Baustelle ist wie eine Familie, ein Team. Und ein gut eingespieltes Team ist immer ein erfolgreiches Team. Die Digitalisierung unterstützt uns und hilft uns, besser zu werden, aber wir dürfen nicht auf die Qualität, die menschliche Seite verzichten, die den Arbeiterinnen und Arbeitern die Kraft gibt, am Morgen auf die Baustelle zu kommen, denn sie wissen, dass sie hier wieder ihre Familie antreffen. Man erzählt sich von Sorgen, von Plänen, und teilt Brot und Grilladen miteinander. Das ist mehr wert als alles Gold der Erde.»

Glänzende Zukunft für Frauen

Zuerst war Monia die grosse Ausnahme, aber sie freut sich, in ihrem Berufsalltag immer häufiger auf Frauen zu stossen. Bei Implenia betrug der Frauenanteil 2022 rund 15 Prozent und er steigt stetig an. «Ja, das ist ein grosser Fortschritt», bekennt sie, «und in zwei oder drei Jahren werden wir noch mehr sein. Ich denke, das hat damit zu tun, dass anfangs nicht viel Werbung für junge Frauen auf der Baustelle betrieben wurde. Man nahm sie kaum wahr, man wusste nur vom Hörensagen, dass es welche gab, oder sah vielleicht mal eine hinter den Abschrankungen, wenn man an einer Baustelle vorbeiging. Jetzt aber, mit Social Media, den Zukunftstagen, mehr Werbung, Employer Branding und so weiter, weiss man besser, wer sie sind, und die Botschaft kommt an. Auch die Berufsmessen eignen sich dafür hervorragend. Hier können viele Frauen über ihre Berufe sprechen. Natürlich gibt es uns. Wir arbeiten fachgerecht, da besteht kein Unterschied. Wenn man weiss, was man will und was man hat, gibt es keine Unterschiede. Man fängt um 7 Uhr an und macht um 17 Uhr Feierabend. Aber deshalb verwandeln wir uns noch lange nicht in Männer. Man kann trotzdem hübsch und weiblich sein!»

Es ist eine Andersartigkeit, eine Komplementarität, die dem Image und der Realität des Bauwesens nur förderlich sein kann.

Über den Autor

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Pascal Gysel

Mediensprecher / Redaktor

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