Der Umweg als Erfolgsfaktor

Tobias Andrea Steiner absolvierte vor seinem Einstieg ins Bauhauptgewerbe eine Lehre als Geomatiker. Heute arbeitet er als Bauführer und profitiert von seinen Spezialkenntnissen.

 

Konzentriert sitzt Tobias Andrea Steiner am Computer und erfasst die Angaben für ein Bauprojekt, für das er eine Kalkulation erstellen soll. Zahlen, meint er, hätten ihn schon immer fasziniert. Die Digitalisierung im Baugewerbe ist für ihn eine Notwendigkeit; er arbeite gerne mit digitalen Tools. Schon als Maurerlernender half er seinen Team-Kollegen, wenn es Probleme mit der Totalstation oder dem Tachymeter gab. Deshalb habe er bereits als Lernender Führungsaufgaben übernehmen dürfen, berichtet er. Der Wissensvorsprung hat einen klaren Grund: Die Maurerlehre war bereits die zweite Ausbildung, die Steiner durchlief.

Zwar habe ihn die Baubranche immer fasziniert, erzählt er im Sitzungszimmer der Hector Egger AG in Langenthal, dennoch habe er zuerst eine Lehre als Geomatiker absolviert. Schnell merkte er indes, dass diese Wahl nicht optimal gewesen war. «Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bei den Geometern eher schwierig. Zudem hat man nicht die Karrieremöglichkeiten wie im Bauhauptgewerbe.» Das sei für seinen Entscheid, eine zweite Lehre zu absolvieren, entscheidend gewesen. Anstatt dreier Jahre dauerte diese zwei Jahre.

 

Wertvolle Spezialkenntnisse

Steiner betont, dass seine Arbeitgeber ihn immer gefördert hätten. Sie ermöglichten ihm, sich während und nach der Ausbildung Erfahrungen auf der Funktion anzueignen; die Begleitung durch einen «Götti» gab Sicherheit, steigerte die Lerneffizienz und half, schneller in die neue Rolle hineinzuwachsen.

Er konnte seinen Arbeitgebern aber auch viel bieten: Dank seiner Erstausbildung als Geomatiker brachte er fundiertes Fachwissen mit – zum Beispiel in der Vermessung, aber auch einen Heimvorteil in Statik –, viel Prozessverständnis und ein hohes Mass an Selbstorganisation. Steiner ist überzeugt, dass die Unternehmen von Quereinsteigern profitieren, weil diese neues Know-how in die Firmen bringen.

«Es gibt verschiedene Wege, wie ein Quereinstieg gelingt», meint er, «für mich war die zweite Lehre die richtige Wahl. So kann ich, wenn ich möchte, später auch Lernende betreuen.» Allerdings betont er gleichzeitig, dass für ihn das Kapitel Weiterbildung vorerst abgeschlossen ist. «Wegen der zweiten Lehre sowie den Ausbildungen zum Polier und zum Bauführer habe ich in den letzten Jahren viel die Schulbank gedrückt. Nun brauche ich eine Pause.»

 

Wachsende Bedeutung

Als Quereinsteiger werden üblicherweise Individuen bezeichnet, welche in einen Beruf wechseln, ohne die dafür übliche Ausbildung absolviert zu haben. In vielen Branchen findet dennoch die eine oder andere Form der (Nach-) Qualifizierung statt.

Gut 30 Prozent der Bauführerinnen und Bauführer haben eine Vorbildung ausserhalb des Bauhauptgewerbes, wechseln also von einer anderen Branche ins Bauhauptgewerbe und nehmen die Ausbildung in Angriff (Renold et al. 2023: Arbeitsmarkt- und Bildungsmobilität in der Bauführung).

Auch Tobias Steiner’s Weg ins Bauhauptgewerbe – über die verkürzte Berufslehre – ist wichtig und weit verbreitet: Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik weist von 100 Maurerlernenden über ein Drittel bereits eine (abgeschlossene oder abgebrochene) Vorbildung aus (Daten LABB (BFS) – eigene Berechnungen). Die jungen Erwachsenen stammen von baunahen Berufen wie Gartenbauerin oder Zeichner. Viele kommen aber auch von baufremden Bildungsfeldern und -typen, wie dem KV, dem Gymnasium oder der Universität. Die Maurerlehre absolvieren die jungen Erwachsenen vor allem im verkürzten Verfahren, teilweise auch im Rahmen einer Nachholbildung – und setzen häufig unmittelbar nach Abschluss ihre Bildungskarriere auf einer Kaderfunktion fort.

Viele Wege führen also ins Bauhauptgewerbe. Unbestritten ist, dass der Quereinstieg in all seinen Ausprägungen in Zukunft wegen des zunehmenden Fachkräftemangels weiter an Bedeutung gewinnen wird – für das Bauhauptgewerbe, aber auch für andere Branchen.

 

Potenzial nutzen

Für Unternehmen bietet der Quereinstieg den Vorteil, Lücken im Personalbestand nachhaltig zu schliessen. Grundvoraussetzung dafür ist eine gezielte Nachwuchs- und Karriereplanung. Wichtig und vielversprechend ist aber auch eine gute Begleitung beim Aneignen von Praxiserfahrung, beispielsweise mittels Mentoring durch z.B. ein «Götti»-System. Dieser gezielte Aufbau von Kompetenzen (bereits während der Ausbildung) führt zu guten Lerneffekten und schneller Identifikation mit der Betriebskultur, was Betriebstreue und Effizienz steigern kann.

Im Vergleich zu Fachkräften mit traditioneller Vorbildung im Bauhauptgewerbe weisen Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger natürlich Aufholbedarf beim Fachwissen auf; neben einer hohen Eigenmotivation bringen sie aber auch komplementäres Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit, welche dem Unternehmen viel zusätzlichen Nutzen bringen. Aus der Forschung ist bekannt, dass die Vielfalt an Bildungshintergründen, welche ein Quereinstieg mit sich bringt, innovationsfördernd wirkt. Die gezielte Bewirtschaftung von Ressourcenpools ausserhalb der klassischen Bauhauptgewerbeberufe birgt also viele Vorteile für die Unternehmen.

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin

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