Seit 125 Jahren vorwärts:
Entwicklungen im Baugewerbe

Da der SBV sein 125-jähriges Jubiläum feiert, nehmen wir spannende Entwicklungen des Baugewerbes über einen sehr langen Zeithorizont unter die Lupe, wie etwa die Infrastruktur, Beschäftigung und Löhne.

 

Grünes Licht für Infrastruktur

Die Infrastruktur ermöglicht es einem Land, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Diese Grafik zeigt die Infrastrukturausgaben in der Schweiz für die letzten 95 Jahre. Eine solche Zeitspanne wurde unseres Wissens noch nie dargestellt. Die Ausgaben werden real, d.h. bereinigt um Preiseffekte, gezeigt. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wendete der Staat rund 1 Mrd. Franken pro Jahr für den Tiefbau auf. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Infrastruktur stark gefördert, ein wichtiger Schritt, um das Fundament der modernen Schweiz zu legen. Zwischen 1960 und 1964 stiegen die Ausgaben für den Tiefbau jedes Jahr um 1 Mrd. Franken. Einen sehr grossen Einfluss hatte der Nationalstrassenbau: das zugehörige Gesetz wurde 1960 verabschiedet. Es sah den Bau von 1.800 Strassenkilometern innert zweier Dekaden vor. Die erste Autobahn aus diesem Programm war die Strecke Genf – Lausanne, eröffnet 1964. In der Folge stieg damit auch der motorisierte Verkehr. Die Tiefbauausgaben nahmen weiter zu bis sie 1973 vorerst ihren Zenit überschritten. Ab den ’80er Jahren laufen die Aufwendungen für Infrastruktur trotz mancher Schwankungen fast parallel zur Bevölkerungsentwicklung. Diese Entwicklung über fast ein Jahrhundert zeigt, dass die moderne Schweiz erst dank der Infrastruktur entstanden ist. So kann die Bevölkerung schnell, sicher und bequem ihre Arbeitsort erreichen, Ferien in den Berge geniessen und Güter auf langen Strecken transportieren. In der Zukunft dürfte die Bevölkerung weiterhin wachsen. Tun wir heute genug, um die Weiterentwicklung der Schweiz mit einer zeitgemässen Infrastruktur zu unterstützen?

Bevölkerungswachstum nicht unterschätzen

Auch die optimistischen Szenarien haben das Bevölkerungswachstum unterschätzt. Das Bundesamt für Statistik erstellt etwa alle fünf Jahre Prognosen zum künftigen Bevölkerungsstand und unterscheidet dabei drei Szenarien. Die Grafik zeigt, um wieviel Prozent eine Prognose vom tatsächlichen Bevölkerungsstand eines beliebigen Jahres abweicht. Die Szenarien aus dem Jahr 1984 beispielsweise haben die heutige Bevölkerung um 15% bis 20% zu tief angesetzt. Nahezu alle Linien zeigen einen Trend nach unten, fast alle Prognosen haben das Bevölkerungswachstum unterschätzt. Der wichtigste Grund liegt in den sich ändernden politischen Rahmenbedingungen. Die Migration hat seit 1980 rund 70% zum Bevölkerungswachstum in der Schweiz beigetragen. Zum Zeitpunkt der Erstellung einer Prognose lassen sich nicht alle politischen Änderungen vorhersehen. Die Abweichung der Szenarien Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre wurde stark von den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien gezeichnet. Die EU-Personenfreizügigkeit ist ein anderes Beispiel.

Seit 2010 blieb die tatsächliche Entwicklung innerhalb der Bandbreite der Szenarien. Die Prognosen sind aber als Annahmen zu lesen, welche auf den bisherigen sozioökonomischen und politischen Erfahrungen basieren. Es bleibt abzuwarten, ob die Bevölkerung nicht auch in Zukunft abermals stärker wächst als angenommen und ob die geplanten Ausgaben für die Infrastruktur tatsächlich ausreichen.

Fahrt in Richtung mehr Leistung

Die Infrastruktur soll die Produktivität und Leistung einer Volkswirtschaft unterstützen, indem sich Bevölkerung und Güter schneller bewegen lassen.

Die Wirtschaftsleistung der Schweiz pro Einwohner kennt seit 1927 fast nur eine Richtung: nach oben. Es gab auch Phasen mit grossen Sprüngen, etwa in den 1960er und 1970er Jahren, als auch die Investitionen in den Tiefbau ein Boom erfasst hat.

Nach den Siebzigern hat sich die Wirtschaftsstruktur in der Schweiz verändert, weg von der Industrie, hin zu mehr Dienstleistungen. Die Schweizer Wirtschaftsleistung wächst weiterhin und dabei geht sie sehr effizient mit ihren Ressourcen um. Pro Kopf und Jahr steckt die Schweiz rund 1.500 Franken in den Ausbau und den Unterhalt der Infrastruktur. Dieser Wert ist in den letzten 50 Jahren recht stabil geblieben. Angesichts der zuvor meist unterschätzten Bevölkerungsentwicklung muss man sich die Frage stellen, um wirklich genug Geld in den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur investiert wird.

Der Baubranche loyal geblieben

Trotz grösserer Strukturwandel in der Geschichte der Schweiz – von Landwirtschaft zu Industrie und danach zu Dienstleistungen – ist die Beschäftigung im Baugewerbe immer recht stabil geblieben. Die Baubranche stellte stets zwischen 5% und 9% der Arbeitsplätze in den letzten 130 Jahren, von 62.000 Beschäftigten im Jahr 1888 auf 330.000 Angestellte im Bau heute, obwohl über diese lange Zeitspanne viele neue Branchen und Berufe in der Schweiz entstanden sind.

Aber auch die vorübergehenden Schwächephasen sollen nicht verschwiegen werden. Die Immobilienkrise der 1990er Jahre hat jeden vierten Job in der Baubranche gekostet. Die Baubranche hat sich anschliessend aber wieder erholt, selbst die internationale Finanzkrise 2008 konnte den Trend nicht stoppen. So viele Angestellte wie heute hatte die Baubranche noch nie zuvor. Dennoch ist der Fachkräftemangel bei vielen Baufirmen spürbar. Die Baubranche bietet weiterhin attraktive Karrieremöglichkeiten, auch weil sich die Arbeitsbedingungen wie etwa Arbeitszeit und Löhne immer weiter verbessert haben.

Arbeitszeit effizienter nutzen

1900 haben die Arbeiter des Bauhauptgewerbes üblicherweise 6 Tage in der Woche und 10 Stunden am Tag gearbeitet. Eine grosse Leistung, die wenig Zeit für andere Aufgaben erlaubte. Die ständige Entwicklung der Bautechnologien hat es ihnen aber ermöglicht, die Zeit effizienter zu nutzen. Schrittweise wurde das Arbeitsvolumen reduziert. Bis 1936 sank das tägliche Volumen auf 8.8 Stunden bevor ab 1959 die 5 Tage Woche mit einem Pensum von 45 Wochenstunden Einzug hielt. Die Arbeitsbelastung ist in den letzten 120 Jahren um ein Drittel gesunken, von damals 60 auf nun 40.5 Stunden in der Woche. Dies alles ging nicht zu Lasten der Wirtschaftsleistung, da die Arbeitssicherheit und die Produktivität gestiegen sind.

Lohn real 6-mal so hoch wie vor 120 Jahren

Die Baumeister wissen den Einsatz ihrer Mitarbeiter zu schätzen. Der wertvolle Bau der modernen Schweiz spiegelt sich auch in der Entwicklung der Löhne wider. Heutzutage beträgt der Lohn real das 6-fache als zur Gründungszeit des SBV. Im Jahr 1900 hat ein erfahrener Maurer 45 Rappen bzw. 0.45 Franken pro Stunde verdient. Ein Polier in Thalwil kam auf 55 bis 70 Rappen, je nach Erfahrung und Leistung. Damals waren die Löhne stark regional geprägt, in Lausanne und Biel beispielweise waren die Löhne höher als am Zürichsee. Natürlich war auch das damalige Preisniveau ganz anders als heutzutage. In heutigen Preisen ausgedrückt hätte der Maurer damals 5.60 Franken pro Stunde erhalten. Die Löhne sind im ganzen Jahrhundert gestiegen. In den 1960er und 1970er Jahren kam es zu einem besonders kräftigen, realen Lohnzuwachs, sowohl in der ganzen Schweiz als auch im Bauhauptgewerbe. So dürfte etwa der Nationalstrassenbau ab 1960 seinen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet haben. Heutzutage verdient ein Maurer 33.82 Franken pro Stunde, also sechs Mal mehr als noch 1900. Der Trend ist sehr ähnlich für Hilfsarbeiter, was heutzutage der Lohnklasse C entspricht. Die Differenz zwischen den Löhnen der Maurer und Hilfsarbeiter zeigt ausserdem, dass Bildung im Bau schon immer einen grossen Unterschied ausgemacht hat – sowohl damals vor 120 Jahren als auch heute.

Der Schweizerische Baumeisterverband wächst parallel zum Baugewerbe. Diese Bildgalerie zeigt wichtige Entwicklungen und Bruchstücke unserer gemeinsamen Geschichte der letzten 125 Jahre.

Über den Autor

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Luiza Maria Maniera

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