KI: Bedrohung oder Rettung für die Schweizer Bauindustrie?

Künstliche Intelligenz: Bedrohung oder Rettung für die Schweizer Bauindustrie?

Bereits vor drei Jahren stellten wir die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz (KI) und deren mögliche Anwendungen in der Baubranche vor: Künstliche Intelligenz im Bau - Schweizerischer Baumeisterverband

Heute sehen wir, dass Technologien wie ChatGPT, Gemini und Copilot, die als Vorreiter in KI und Automatisierung gelten, tiefgreifende Auswirkungen auf den globalen Arbeitsmarkt haben: Laut Studien von Goldman Sachs und OpenAI könnten weltweit bis zu 300 Millionen Jobs von KI beeinflusst werden.

Für den Schweizer Bausektor ergibt sich daraus eine kritische Frage:

Ist diese technologische Revolution eine Gefahr oder eine mögliche Lösung für den Fachkräftemangel?

Weltweit wird befürchtet, dass KI-basierte Automatisierung traditionelle Arbeitsplätze verdrängen könnte. Beispielsweise in der Fertigungsindustrie, wo Robotik und KI-gesteuerte Maschinen Aufgaben wie Montage und Schweissen übernehmen. Ähnliche Trends zeigen sich im Transport- und Logistiksektor, wo autonome Geräte Arbeitskräfte ersetzen.

Im Einzelhandel führen automatisierte Kassensysteme und Kameras, die den Einkaufskorb oder -wagen scannen und beim Verlassen des Geschäfts automatisch die Zahlung ausführen, zu einem Wandel. Die automatische Aktualisierung des Warenbestandes und das Auffüllen der Regale verändern die Rolle des Kassenpersonals.

Darüber hinaus erlebt der Kundenservice in verschiedenen Sektoren eine Transformation durch den Einsatz von Chatbots. Diese KI-gestützten Systeme übernehmen herkömmliche Aufgaben von Callcentern, ein Trend, der sich bereits bei Swisscom und anderen Anbietern im Kommunikationsbereich zeigt.

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Diese Entwicklungen zeigen, dass die Integration von KI in verschiedenen Sektoren sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringt. Es gilt, neue Rollen und Fähigkeiten zu definieren und weiterzuentwickeln, um die Vorteile dieser technologischen Revolution zu nutzen und gleichzeitig den menschlichen Aspekt der Arbeit zu bewahren.

Daher ergibt sich die zentrale Fragestellung: Wie stark wird die KI-Technologie gegenwärtig und zukünftig den Bausektor, einen wesentlichen Pfeiler der Schweizer Wirtschaft, prägen?

Effizienzsteigerung und Fachkräftemangel eine Gelegenheit für KI?

Laut einer Studie des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV) aus dem Jahr 2023 wird bis 2040 ein Defizit von etwa 5600 Fachkräften in der Branche erwartet. Angesichts dieser Prognose gewinnt die effiziente Nutzung von Arbeitskräften und die Implementierung neuer Technologien in Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Künstliche Intelligenz (KI) spielt bereits heute eine wichtige Rolle dabei, bestehende Lücken zu schliessen. Sie übernimmt Aufgaben, für die es an menschlichen Kapazitäten mangelt, und trägt somit dazu bei, den Fachkräftemangel zu mildern.

Ein fortschrittliches Beispiel dafür ist ein datengetriebenes Robotersystem aus den USA, das für den modularen Bau entwickelt wurde. Roboterarme verwenden "Hände", um Aufgaben zu erledigen. Der Handteil eines Roboters wird als "Endeffektor" bezeichnet und kann je nach Aufgabe angepasst werden. Jiansong Zhang, Assistenzprofessor für Baumanagementtechnologie am Purdue Polytechnic Institute, und die Forscher des Labors für Automatisierung und intelligente Konstruktion (AutoIC) fügen den Roboter-Endeffektoren eine Computer-Vision-Sensortechnologie hinzu, um mit einem einzigen erschwinglichen Sensor viele Erfassungsaufgaben zu erfüllen. Zhang betont die Notwendigkeit, die Produktivität in der Bauindustrie zu steigern, um den Mangel an qualifizierten Handwerkern zu adressieren – ein Trend, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat​​.

Die Penn State University forscht an zukünftigen Anwendungen von KI in der Bauindustrie, einschliesslich KI-gesteuerter schwerer Maschinen, unbemannter terrestrischer und luftgestützter Fahrzeuge sowie selbst optimierender kollaborativer Roboter, die sowohl Arbeitsabläufe optimieren als auch die menschliche Sicherheit auf Baustellen erhöhen können​​.

Somit kann die Arbeitssicherheit durch den Einsatz von KI-Technologie erhöht werden.

Im Bereich der Arbeitssicherheit kann der Einsatz von KI-Technologie einen signifikanten Beitrag leisten. Da Sicherheitsbeauftragte nicht permanent auf Baustellen präsent sein können, ist Unterstützung in diesem Bereich besonders wertvoll. KI-basierte Überwachungssysteme haben das Potenzial, die Sicherheit auf Baustellen zu erhöhen und die Häufigkeit von Arbeitsunfällen zu verringern, indem sie kontinuierlich Überwachungsaufgaben übernehmen und potenzielle Gefahren frühzeitig erkennen.

Quelle: https://viso.ai

KI-Technologie Zukunft oder schon Gegenwart?

In der Praxis zeigt sich der Trend zur Automatisierung durch den zunehmenden Einsatz von KI und maschinellem Lernen. Die Bauindustrie beginnt, standardisierte Abläufe zu automatisieren, insbesondere solche, die repetitive und monotone Aufgaben umfassen. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz autonomer Fahrzeuge für das Ausheben oder den Transport von Materialien. So hat etwa das Unternehmen Canvas einen Roboter für Trockenbauarbeiten entwickelt, dessen Ergebnisse fast denen qualifizierter menschlicher Arbeiter entsprechen​​.

Darüber hinaus werden Bauroboter zunehmend für eine Vielzahl von Aufgaben eingesetzt, darunter Betonieren, Mauerlegen und Abbrucharbeiten, wodurch menschliche Arbeitskräfte für komplexere Bauaufgaben freigesetzt werden. Diese Roboter können Aufgaben schneller und mit weniger Ausfallzeiten erledigen, was zu einer Steigerung der Gesamteffizienz auf Baustellen führt​​.

Quelle: https://www.temps.de/2023/04/17/die-baustelle-der-zukunft-robotik-im-malerhandwerk/

In Anbetracht der täglich auf Baustellen anfallenden grossen Datenmengen stellt deren effiziente Verwaltung aktuell eine Herausforderung für Unternehmer dar. Hier bietet die KI-Technologie eine Lösung, indem sie repetitive und zeitintensive Prozesse optimiert und somit die Effizienz steigert. Dies ermöglicht eine produktivere Nutzung der Arbeitszeit der Mitarbeiter. Ein Beispiel hierfür ist das Tool natif.ai, das zeigt, wie das manuelle Erfassen von Lieferscheinen durch automatisierte Verfahren ersetzt und somit bald überflüssig werden könnte.

Oder die grundlegende Überprüfung von Verträgen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) kann, wie die Firma Legartis.ai demonstriert, automatisiert und an firmenspezifische Standards angepasst werden. Dadurch wird der Bauführer von dieser zeitraubenden Aufgabe entlastet und kann seine Zeit effizienter für andere wichtige Tätigkeiten einsetzen.

Selbst in der Kalkulation ermöglichen fortschrittliche Tools mit KI Zeitersparnis, wie z.B. ABACUS mit seiner LV-Scanning-Funktion eine effiziente Übernahme von Leistungsverzeichnissen aus PDF-Dokumenten in das ERP-System. Dies erspart die zeitaufwendige manuelle Eingabe und ermöglicht es, die bisher für die Datenerfassung aufgewendeten Ressourcen für produktivere und wertschöpfende Tätigkeiten einzusetzen. Dank KI-Technologien, wie sie das Zürcher Startup benetics.io demonstriert, können sprachliche Barrieren in der Baubranche deutlich reduziert werden.

Es ist entscheidend, dass alle Projektbeteiligten Zugang zu den Bauplänen haben und stets über den Standort und die Aktivitäten der anderen informiert sind.

Ferdinand Metzler
CEO und Mitbegründer benetics.io

Bauführer haben die Möglichkeit, Sprachnachrichten auf Deutsch aufzunehmen und an portugiesischsprachige Kollegen zu senden. «Diese Nachrichten werden dann in Text umgewandelt und in die Muttersprache des Empfängers übersetzt» erläutert Metzler. Diese Innovation bietet insbesondere bei der Integration ausländischer Fachkräfte erheblichen Mehrwert. Obwohl der Mangel an Fachkräften im Schweizer Bauwesen eine anhaltende Herausforderung darstellt, kann der Einsatz solcher Technologien zur Milderung dieses Problems beitragen. Diese Innovation bietet insbesondere bei der Integration ausländischer Fachkräfte erheblichen Mehrwert.

Harmonische Koexistenz von Mensch und Maschine: Strategien zur Wahrung des Gleichgewichts in Unternehmen

In einer Ära, in der die fortschreitende Technologisierung das Risiko von Arbeitsplatzverlusten birgt, ist es für Unternehmen essenziell, proaktiv zu handeln. Investitionen in Umschulungsprogramme und Weiterbildungsinitiativen für bestehende Belegschaften sind unverzichtbar. Diese Massnahmen tragen dazu bei, die Mitarbeiter für den Wandel zu rüsten und ihre Fähigkeiten an die neuen Anforderungen anzupassen. Gleichzeitig ermöglicht die Integration von KI-Technologien in Branchen wie dem Bausektor die Entstehung neuer Berufsfelder und Fachspezialisierungen. Diese Entwicklung bietet eine Chance, die Arbeitskräfte von morgen für hochspezialisierte und technologieorientierte Rollen zu schulen, wodurch ein Gleichgewicht zwischen menschlicher Arbeitskraft und maschineller Effizienz gefördert wird. Organisationen wie “Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland” und der SBV spielen eine führende Rolle bei der Förderung der digitalen Transformation in der Branche. Sie bieten Plattformen zur Vernetzung und Unterstützung von Unternehmen bei der digitalen Transformation, einschliesslich Tools zur Reifegradanalyse und Best Practice-Entwicklung​​​​​​.

Schlusswort:

Die Integration von KI in die Schweizer Bauwirtschaft ist kein einfaches Schwarz-Weiss-Szenario. Sie birgt sowohl das Potenzial einer Bedrohung traditioneller Arbeitsplätze als auch die Chance, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Entscheidend wird sein, wie sich die Branche und die Beschäftigten anpassen und die Technologien zu ihrem Vorteil nutzen können. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Balance zwischen technologischer Innovation und der Entwicklung menschlicher Fähigkeiten. Es ist jedoch wichtig, den Anschluss nicht zu verpassen und sich bereits heute aktiv mit dem Thema KI auseinanderzusetzen. Da die Entwicklung dieser Technologie sehr schnell voranschreitet, kann man den Anschluss verlieren, wenn man das Thema KI ignoriert. Es ist an der Zeit, dass alle Stakeholder der Bauwirtschaft – von den kleinen Handwerksbetrieben bis hin zu grossen Baukonzernen – proaktiv werden. Wir müssen gemeinsam Strategien entwickeln, um KI-Technologien effizient und ethisch verantwortungsvoll zu integrieren. Durch Workshops, Fortbildungen und Branchendialoge können wir den Weg für eine innovative und zukunftssichere Bauwirtschaft ebnen. Trotz der Herausforderungen stehen wir vor einer spannenden Zukunft. Mit der richtigen Herangehensweise und einer offenen Haltung gegenüber neuen Technologien können wir eine Ära einläuten, in der KI nicht nur unsere Arbeitsweise revolutioniert, sondern auch zu nachhaltigerem und effizienterem Bauen beiträgt.


Quellen

asme

Penn State Engineering

automate.org

abacus.ch

viso.ai

legartis.ai

natif.ai

benetics.io

smartconext-bau.ch

baumeister.swiss/baumeister-5-0

bauen-digital.ch

nzz.ch

Über den Autor

pic

Mario Sülz

Projektleiter Digitalisierung

[email protected]

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